Ein lichtspendender Waldbewohner

15.09.2017

Der Hirschleuchter aus dem 12./13. Jahrhundert (Foto: LWL/Stefan Brentführer)

Ich bin Studentin der archäologischen Wissenschaft in Bochum und derzeit Praktikantin im LWL-Museum für Archäologie. Während des Praktikums sind mir viele Objekte aufgefallen. Mein erster Gedanke war es, über eine Öllampe zu schreiben, aber dann entschied ich mich für ein paar Würfel aus Keramik. Jedoch gibt es schon einen Blogbeitrag dazu. Zum Schluss gewann der Hirschleuchter meine Aufmerksamkeit. Zwar ist er keine Öllampe, aber er hat genau die gleiche Funktion, nämlich Licht zu spenden. Für mich war dieses Ausstellungsstück ein Eye-Catcher, weil die Kombination eines Wildtieres mit Licht sehr elegant wirkt. Nicht jeder besitzt einen Leuchter in Form eines Lebewesens.

Der Hirschleuchter stammt aus der Stadt Hamm, wo er in einer Grubenverfüllung gefunden wurde. Er ist ins Hochmittelalter, also ins 12./13. Jahrhundert zu datieren. Weil man bereits vergleichbare Stücke aus dieser Zeit im belgischen und niederländischen Raum entdeckt und analysiert hat, konnte man ihn gut zeitlich einordnen. Der Leuchter ist klein, aber fein: 12 cm Länge, 4,8 cm Breite und 12,4 cm Höhe. Der Körper des Leuchters wurde walzenförmig geformt und sein Kopf ist länglich. Das Maul besitzt eine halbkreisförmige Öffnung. Außerdem sind Körper und Kopf von innen hohl. Erkennbar wurde der Hohlkörper durch eine Röntgenaufnahme, wie das nächste Foto zeigt.

Foto einer Röntgenaufnahme des Leuchters. (Foto: LWL-Archäolgie für Westfalen)

Woher? Wozu?

Seine Vorderbeine enden mit kegelstumpfförmigen Füßen, während die Hinterbeine unverdickt sind. Der heute noch erhaltene Teil des Geweihs besitzt drei Gabelungen und vier Enden. Leider ist nur die linke Seite des Geweihpaars erhalten. Anhand des Rohrs auf seinem Rücken ist zu erkennen, dass es für Beleuchtungszwecke gedacht war. Das Rohr diente als Verbindungsmuffe. Dabei wurde ein Dorn mit Tropfschale, der hier fehlt, oben eingesetzt. Anschließend setzte man die Kerze darauf.

Den Leuchter fertigte man aus Bronze, die man glättete. Diese Fertigungsart war im Hochmittelalter typisch für Luxusgegenstände, da sie aufwendig war. Er diente, neben seinem eigentlichen Zweck, dem Spenden von Licht, zur Dekoration. Mit solcherlei Einrichtungsgegenständen zeigten Wohlhabende ihren Stand innerhalb der Gesellschaft. Das Exponat bietet auch Anknüpfungspunkte zum Thema Jagd. Im Mittelalter war es ein Privileg des Adels, zur Jagd zu reiten; es war beliebter Zeitvertreib und gehörte für die Oberschicht zum Guten Ton.

Aber woher stammt dieses Objekt genau? Herstellungsorte könnten möglicherweise Lothringen, Westfalen oder Niedersachsen gewesen sein. Es wird angenommen, dass der sogenannte „Isenacker“ in Soest, eine archäologische Fundstelle aus dem 12. Jahrhundert, als möglicher Herstellungsort in Frage kommt. Hier befindet sich eine Siedlungsspur, die auf Buntmetallhandwerk hindeutet. Der Befund enthielt Tiegelfragmente und Schlacken, welche ein Indiz für Metallverarbeitung sein können. Trotz allem ist nicht klar, ob der Hirschleuchter tatsächlich von dort stammt. Vergleichbare Stücke wie dieses existieren in der alten Sammlung des Saarlandmuseums und im Boy mans van Beuningen Museum in Rotterdam.

Diese Vitrine zeigt verschiedene Funde aus Bronze, darunter auch der Hirschleuchter. (Foto: LWL-Museum für Archäologie/Stacy Schlesinger)

Der Hirsch an sich

In Hamm befand sich eine 4,1 ha große Grabungsfläche ca. 500 m südlich der Lippe. Konkrete Hinweise auf mögliche Fundkomplexe gab es an dieser Stelle nicht. Auslöser der Grabung war eine handschriftliche Notiz von Dr. Hans Beck, dem Leiter der Außenstelle für Vor- und Frühgeschichte in Arnsberg aus dem Jahr 1939. Die Notiz belegt die Fundmeldung von Karl Brand, Museumsdirektor des Emschertal – Museums in Herne, vom 27. Mai 1938. Er hatte eine germanische Siedlungsgrube mit entsprechendem Fundmaterial aus dem 1. Jh. entdeckt. Hierbei handelte es sich um Grubenhäuser, kleine Pfostenbauten sowie um zwei Brunnen. Daraufhin erfolgte eine genauere Untersuchung und die Archäologen erfassten ein frühmittelalterliches Gräberfeld, das am nördlichen Rand der Grabungsfläche lag. Ungewöhnlich waren an diesem ins Frühmittelalter datierten Fundort das Fundaufkommen und die Bebauung von Siedlungsspuren aus dem Hochmittelalter. Die Grube der letzten Bauphase war mit Brandschutt verfüllt worden. Darin lagen mehrere nahezu gut erhaltene Objekte, auch dieser Hirschleuchter.

Das Ausstellungsstück sprach mich an, da ich Interesse an archäologischen Objekten habe, die mit Licht und Beleuchtung zu tun  haben. Eindrucksvoll an diesem Stück finde ich, dass es ausgerechnet einen Hirsch verkörpert. Ich frage mich: Gab es eine bestimmte Symbolik, die man mit dem Hirsch verknüpfte? Mit einem Hirschen, den man auch als König des Waldes bezeichnet, verbinde ich heute vor allem diese Adjektive: scheu, kräftig, frei lebend, ruhig, aber auch majestätisch. Er wird oft wegen seines mächtigen Geweihs als kräftig angesehen, das Geweih kann daher auch ein Symbol für Wehrhaftigkeit sein. 

  • Wappen der Grafschaft Sangerhausen (Quelle: wikipedia.de)

  • Wappen der Grafschaft Dassel (Quelle: wikipedia.de)

  • Ein weißer Hirsch gibt sich als Christus zu erkennen. (Quelle: http://lexi-online.de/themen/tierwelt/hirsch/die_ewige_wiederkehr)

Mythologie und Symbolik

In der griechischen Mythologie steht das Tier für Langlebigkeit. Daher kam es häufig vor, dass Familien mit langen Ahnenreihen den Hirsch zu ihrem Symbol erwählten, auch um zum Ausdruck zu bringen, diese noch lange fortzusetzen. Dies drücken beispielsweise die oben stehenden Abbildungen westfälischer Wappen aus.

Hesiod schreibt in einem seiner Werke, dass eine Krähe neun Mal länger als der Mensch lebt und der Hirsch vier Mal länger als die Krähe. In der christlichen Symbolik des Mittelalters wurde der Hirsch mit Licht assoziiert. Dies spiegelt sich zum Beispiel im Sankt-Hubertus Mythos wieder. Laut der Legende war Hubertus ein Jäger, der auf einen Hirsch schießen wollte. Dann sah er ein Kreuz, das zwischen dem Geweihpaar hell aufleuchtete. Hubertus erkannte, dass das Tier Christus ist und kniete nieder. Er versprach  nie wieder zu jagen, damit er ernsthaft dem Christentum angehören konnte.