365 Tage Volontär

30.04.2020

André Burmann während der ExtraSchicht 2019 im GrabungsCAMP des LWL-Museums für Archäologie Herne (Foto: Cornelia Moors)


Prolog

Es war der Afrika-Archäologe Prof. Dr. Peter Breunig, mein akademischer Betreuer, der mich als erstes auf die Ausschreibung für die Stelle als wissenschaftlicher Volontär im LWL-Museum für Archäologie Herne aufmerksam gemacht hat. Irgendwie ein interessanter Zufall, vielleicht ein positives Zeichen? Denn: Seit 2011, nach fünf Semestern in München, bin ich nun sein wissenschaftlicher Schüler in Frankfurt (Main), seit 2016 gar als Mitarbeiter in einem Forschungsprojekt zu westafrikanischen Kulturen mit Figuren.

So bewarb ich mich also beim LWL, unter anderem übrigens mit folgender Information: Ausgestattet mit westfälischem Blut und dem Arminia-Gen wäre ich in Herne deutlich näher an der Bielefelder Alm als bisher ^^.

Der Sprung ins kalte Wasser

Erster Besuch im Museum, zufälliges Kennenlernen meiner späteren direkten Vorgesetzten Dr. Susanne Jülich und das angenehme Vorstellungsgespräch: Das erfreuliche Ergebnis war für mich daraufhin trotzdem sehr überraschend. Es kam wohl nicht nur auf meine bisherigen Kenntnisse über die westfälische Vor- und Frühgeschichte an… ;).

Workshop "digital ist besser" im Vortragssaal des LWL-Museums für Archäologie Herne mit den "Kulturkonsorten" (Foto: Dr. Josef Mühlenbrock)

Los ging es für mich nämlich mit einem ganz anderen Thema: Digitalisierung. Ich wurde eingeladen, wenige Tage vor meinem eigentlichen Arbeitsbeginn am Workshop „digital ist besser“ teilzunehmen und sogar eine „Round Table“ (Diskussionsrunde im Workshop-Format „World Café“) zu moderieren. Mit der Archäologin Dr. Doreen Mölders, die Anfang 2019 die Leitung des Museums übernommen hat, kamen viele neue Ideen ins Haus – unter anderem die Verbesserung unserer digitalen Kultur (weitere Leitmotive: Diversität, Inklusion, Partizipation, Nachhaltigkeit). Für mich war dieser Auftakt sicherlich ein Sprung ins kalte Wasser … Aber eine spannende erste Herausforderung!

Die Arminia-Fraktion in Herne: Dr. Michael Lagers, Julia Heimlich, André Burmann (Foto: Dr. Doreen Mölders)

Neuling im Ruhrgebiet, im Museum und beim LWL

Zweifelsohne, ich wurde sehr herzlich und aufmerksam aufgenommen. Aufgenommen in eine Runde, die sich zum Teil seit Jahren, vereinzelt sogar schon seit 2003 (Eröffnung des Museums) kennt. Diese Voraussetzungen sind für einen Neuankömmling natürlich auf unterschiedliche Weise interessant: Zum einen kam ich in ein funktionierendes und sich schätzendes Team, was sicherlich die Einarbeitung erleichterte. Zum anderen sind dadurch die Strukturen und zwischenmenschlichen Schwingungen durchaus nicht immer leicht zu durchdringen und verstehen. So lerne ich die Interna des Hauses und des LWL bis heute täglich besser kennen.
Im Ruhrgebiet anzukommen, war sicherlich nicht minder spannend. Als Mensch, der meist in Großstädten gelebt hat, kam ich hier sehr gut klar. Vermutlich auch, weil ich schon vorab einige Archäolog*innen aus Bochum und Umgebung kannte. Überrascht hat mich zu Beginn dann doch die direkte und unverblümte Art der Pott’ler. Fragen, Nachfragen und Geduld waren angesagt… ;)

Der erste Einsatz im Namen des LWL

„Irrtümer und Fälschungen der Archäologie“: Diesen viel versprechenden Titel trug die Sonderausstellung, die sowohl in Herne (2018) als auch in Hildesheim im Roemer-Pelizaeus-Museum (bis Mai 2019) gezeigt wurde. Schon im ersten Monat meines Volontariats war ich für drei Wochen bei den Abbauarbeiten in Hildesheim eingeplant worden. Dass ich in handwerklichen Tätigkeiten nicht zu den Erfahrensten gehöre, merkte in der Zeit nicht nur ich selbst. Daher bewundere ich die Geduld insbesondere von Modellbauer und Feinmotoriker Peter Simmes (Herne). Die Zusammenarbeit mit ihm, meiner Herner Kollegin Cornelia Moors sowie den Restaurator*innen Andreas Weisgerber (LWL), Claudia Schindler und Teodora Szanto (beide RPM) hat viel Spaß gemacht! Leider war kaum Zeit, die Ausstellung in Ruhe zu studieren. Wir haben sie ja ab- und nicht aufgebaut. Aber da ist ja noch der Ausstellungskatalog


Vom Zeit-Kubus zum Botschafter: Meine Aufgaben

Als sog. Hausvolontär im LWL-Museum für Archäologie Herne habe ich eine ganze Bandbreite an Aufgaben, bei denen ich nicht nur mein handwerkliches Geschick beim Abbau von Ausstellungen unter Beweis stellen muss. Da ich kein Projektvolontär bin, arbeite ich nicht explizit für eine bestimmte Sonderausstellung. Solche Erfahrungen durfte ich als studentische Hilfskraft an der Frankfurter Goethe-Universität zwischen 2011 und 2016 schon einige Male sammeln, z. B. für die Jubiläumsausstellung der Universität 2014/2015. Einen herzlichen Gruß an dieser Stelle insbesondere an Frau Dr. Charlotte Trümpler!
Ein kleines Ausstellungsprojekt präge ich aber auch in Herne ganz entscheidend mit. Es geht um eines der weißen „Grabungszelte“ in unserer inszenierten unterirdischen Ausgrabungslandschaft, den Kubus zum Thema „Zeit“. Aus unterschiedlichen Gründen ist es jetzt – 17 Jahre nach der Ausstellungseröffnung – an der Zeit, sich diesem Kubus neu zu widmen. Seit Ende 2019 arbeiten wir dafür eng mit dem Stuttgarter Gestaltungsbüro raumhochn (Catherine François und Natalie Kleemann) zusammen. Ich freue mich auf die weitere angenehme und produktive Teamarbeit und bin zuversichtlich, dass der neue Zeitkubus ab Herbst 2020 bestaunt werden kann.

Zu meinen weiteren Aufgaben gehören verschiedenen Tätigkeiten im Rahmen der Dauerausstellung (Vitrinen- und Objekthandling, u. a. bei der Entnahme und Einbringung, Inventarisierung, Leihverkehr, Anfragen) und die Betreuung der museumseigenen Bibliothek (Katalogisierung, Buchbestellungen, Schriftentausch). Zudem helfe ich beim Aufbau und bei der Durchführung von Veranstaltungen, wo ich kann. Und im digitalen Raum betreue ich den Museums-Blog und unterstütze den Museumspädagogen und Veranstaltungsmanager Dr. Michael Lagers hin und wieder bei Social Media-Aktivitäten (auf facebook, instagram,  twitter und YouTube).

Nicht zu unterschätzen ist die Betreuung von und die Arbeit mit unseren Praktikant*innen. Wir nehmen sowohl Schüler*innen (mind. zwei Wochen) als auch Student*innen (mind. sechs Wochen) auf. Es sind ganz unterschiedliche Persönlichkeiten, die sich bei uns für ein Praktikum bewerben. Meistens haben wir allerdings Glück: Nach einer Einweisung in die Struktur und die Abläufe im Haus entwickeln sich häufig Win-Win-Situationen. Zum einen können Praktikant*innen in viele Arbeitsbereiche hineinschnuppern und erfahren Wissenswertes zur Archäologie Westfalens, aber auch zu den Berufen in einem Museum. Zum anderen zeigen sie sich oft als sehr engagiert und hilfsbereit und entwickeln sich dadurch regelrecht zu wertvollen Kolleg*innen. 

Darüber hinaus und grundsätzlich fühle ich mich insbesondere außerhalb Hernes und Westfalens als Botschafter des LWL-Museums für Archäologie.

Der Stellvertreter der Stellvertreterin

Nun, Ziel meines Volontariats ist, immer mehr Einblicke in Aufgaben und Strukturen des Museums zu gewinnen. Dabei steht natürlich – wenn möglich – das Selbermachen im Vordergrund. So unterstütze ich vor allem die stellvertretende Museumsleiterin mehr und mehr. Wenn sie im wohlverdienten Urlaub ist, bin ich ihr Vertreter. Neue Verantwortungsbereiche ermöglichen neue Erfahrungen. Denn auch nach dem Volontariat werden sie eher mehr als weniger. Da bin ich optimistisch.

Die Tentakeln des LWL-Museums für Archäologie Herne (Video: LWL-Museum für Archäologie/ Kai Bernhardt)

Das Tentakel-Aufbauteam in der Sonderausstellungshalle des LWL-Museums für Archäologie Herne (Foto: Dr. Michael Lagers)

Alles dreht sich um die PEST!

Nach den Irrtümern ist vor der Pest. Acht Tentakeln (ExtraSchicht 2019 – Die Nacht der Industriekultur) nach dem Abbau der einen Sonderausstellung warf das neue Projekt seine Schatten weit voraus: die Sonderausstellung zur Kulturgeschichte der PEST! Ohne die Konzeption und Gestaltung im Detail zu kennen, wurde auch ich immer mehr in die Vorbereitungen eingebunden. So schrieb ich einige Exponat-Artikel für den Ausstellungskatalog, z. B. über eine Yoruba-Kette aus Nigeria ...

Die Maskenwand als Selfie-Motiv in der PEST!-Ausstellung: André Burmann mit einer fleißigen Bastlerin: seiner Schwester Beatriz (Foto: André Burmann)

Beim Aufbau der Ausstellung assistierte ich, wo ich konnte (zum Aufbau der PEST!-Sonderausstellung ein humorvoller Blogartikel zweier Praktikantinnen). Ebenso zum Arbeitsalltag gehörten Kurierfahrten, sowohl um Exponate abzuholen, als auch um beispielsweise englische Kurierinnen vom Düsseldorfer Flughafen nach Herne zu bringen. Ein weiteres persönliches Highlight war sicherlich der selbst organisierte „Bastel-Wahnsinn“ – über 50 Freiwillige aus Herne und darüber hinaus versammelten sich an zwei Tagen, um fast 300 Schnabeldoktor-Masken für die Ausstellung zu basteln!

Volontär unter vielen

Neben einem Hausvolontär arbeiten im Herner Museum meist ein*e Projektvolontär*in (für die nächste Sonderausstellung) und aktuell zwei studentische Volontärinnen. Aber auch sonst finde ich mich oft in angenehmer Gesellschaft – unter Volontär*innen. So gibt es beispielsweise regelmäßige Treffen der LWL-Volontär*innen, des AK Volontariat NRW und von Volontär*innen aus Dortmund und Umgebung. Durch das bewährte Konzept „Volo-führt-Volos“ lernt man sich zum einen untereinander kennen, zum anderen aber auch andere Projekte (Ausstellungen) und Museen. Sehr empfehlenswert!

Noch mehr Volontär*innen versammelten sich bei der Frühjahrs- und Herbsttagung der LWL-Volontär*innen und – natürlich – auf der Bundesvolontariatstagung (BVT). Organisiert wird letztere jährlich vom AK Volontariat des Deutschen Museumsbundes (DMB). Auf der letzten BVT (März 2020 in Dresden) ging es vor allem um die kulturübergreifenden Themen Diversität und Inklusion – nicht nur leere Worthülsen, sondern Teil unserer Mission!
Ein persönliches Highlight in Dresden war sicherlich der Workshop zu Graffiti und Street Art – danke Florian Bölike!

Wertvoller Input, spannende Kontakte

Als mindestens ebenso interessant und lehrreich stellten sich zwei weitere Tagungen heraus, an denen ich teilgenommen habe. Sie drehten sich um das Thema, das mich schon seit Anbeginn in Herne beschäftigt: Digitalisierung.
In der „Digitalwerkstatt Museum“ des dreijährigen Verbundprojektes museum4punkt0 (Oktober 2019 in Berlin) erfuhr ich, was inzwischen alles möglich ist (und noch möglich sein wird), um Ausstellungsinhalte mit digitalen Formaten auf innovative und experimentelle Weise zu vermitteln.  Zum Beispiel: Wollten wir nicht schon alle mal auf die Größe eines Insekts schrumpfen und das Erdreich erkunden? Mit der VR-Experience vom Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz ist das möglich!

Auch auf der Münchner Jahrestagung von ICOM Deutschland ein Monat später drehte sich alles um die Frage, welche Chancen und Risiken die Digitalisierung für die verschiedenen Aufgabengebiete der Museen von heute und morgen birgt. Im Rahmen der Tagung entstand auch das ICOM Young Professionals Network, initiiert von Harriet Meyer, Zsuzsanna Aszodi und Dr. Julia Römhild von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Zur Vernetzung unter jungen Museumsleuten wurden inzwischen zwei Plattformen geschaffen (facebook, Slack). Aktuell diskutieren wir unter anderem, wie konkret wir kommende ICOM Deutschland-Jahrestagungen mitgestalten können. Vielleicht sogar mit einem Stimmrecht bei ICOM-Entscheidungen?


„Glänzender Aktionstag“ am 9.5.2020: Herne geht live!

Glänzender Aktionstag am 8./9. Mai 2020 (Poster: DIE VIELEN)

Voller Vorfreude darf ich an dieser Stelle ankündigen, dass das LWL-Museum für Archäologie zusammen mit dem Bündnis Herne und DIE VIELEN am Samstag, den 9. Mai, von 12h30 bis ca. 14h30, eine Live-Sendung veranstaltet. Anlass ist der „Tag der Befreiung“ – 75 Jahre nach Kriegsende. Diverse Aktionen von Herner Kulturschaffenden, u. a. aus unserem Haus und der LWL-Archäologie, bilden mit Live-Interviews und Interaktionen mit dem virtuellen Publikum die Grundlage für den auf YouTube und facebook gestreamten Auftritt. Die Beiträge sind auf das Thema der Aktionstage abgestimmt und reichen von Videoführungen durch Ausstellungen sowie durch die Stadt Herne bis hin zu kurzen Einspielungen von archäologischen Ausgrabungen an historischen Orten, Interviews von Personen und Geschichten über das Kriegsende. Musikalische und künstlerische Darbietungen runden das Programm ab. Und ich bin nicht unwesentlich daran beteiligt.
Erinnern wir uns an die Ereignisse von vor 75 Jahren, gedenken wir des „Tags der Befreiung“ am 8./9. Mai 1945 und erfreuen wir uns am freien und diversen Kunst- und Kulturangebot in Herne und Westfalen!

Epilog

In meinem ersten Jahr als wissenschaftlicher Volontär im LWL-Museum für Archäologie habe ich schon eine Menge lernen, ausprobieren und voranbringen können. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön allen, die mich so herzlich und aufmerksam aufgenommen haben! Nicht umsonst heißt es von außen oft, dass die Belegschaft in Herne wie eine „kleine Familie“ agieren würde – manche meinen sogar, wir wären eine! :D
Auf ein schönes zweites Jahr im LWL-Museum für Archäologie Herne!

André Luiz R. F. Burmann
andre.burmann@lwl.org

Danke an Doreen, Susanne, Michael, Astrid, Stefan, Stefanie, Stefanie, Kerstin, Alexander, Sandra, Cornelia, Julia, Luisa, Daniela, Claudia, Thomas, Sascha, Peter, Bernhard, Christian, Andreas, Kai, Fenja, Marina,  Sylvia, Birgitta, Kerstin, Ruth, Manfred(†), Iris, Susanne, Eva, Heidi, Fadime, Klaus, Bea, Kerstin, Esther, Detlef, Baba, Josef, Lisa, Bianca, Fabian, Birgit, Christian, Sven, Manuel, Sylvia, Markus, Klaus, Sebastian, Stefan, Birgit, Esther, Adienne, Carolin, Jens, Nils, Till, Katrin, Wiebke, Berit, Matthew, Frederik, Sophia, Dominik, Catharina, Samira, Sara, Jil, Nele, Isabel, Emily, Tjalf, Niklas, Pia, Björn, u. v. m.!

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