Sind die Verzierungen auf der Urne von Costedt also eine Ansammlung von Glückssymbolen, die dem Bestatteten Kraft und Fruchtbarkeit/Reichtum im Jenseits bescheren sollen?
Oder sind hier tatsächlich verschiedene Mondphasen abgebildet, die wie ein Kalender gelesen werden können?
Warum nicht! Schließlich lehrt der Zeit-Kubus in der Dauerausstellung, dass die ersten Bauern bereits um 5500 v. Chr. nach den Mondphasen leben. Der Mond kann den Germanen also nicht fremd gewesen sein. Sollten es wirklich Mondphasen sein, könnte das Feld mit dem Halbkreis den abnehmenden Mond, das Feld mit Kreis und Halbkreis den zunehmenden Mond, das Feld mit dem Kreis den Vollmond und das Feld mit der „Hirsch“-Verzierung die Mondphase des Neumonds darstellen. Bei Neumond ist der Mond am Nachthimmel nämlich nicht zu erkennen. Dann steht er zwischen Erde und Sonne, sodass von der Erde nur die Schattenseite des Mondes zu sehen ist, die von der Sonne nicht angestrahlt werden kann. Und wenn der Mond nicht „leuchtet“, kann er die Sterne mit seinem silbernen Licht nicht überblenden. Zu diesem Zeitpunkt herrschen besonders gute astronomische Beobachtungsbedingungen. Der „Hirsch“ könnte also auch eine Kombination aus zwei Sternenbildern sein, die als Platzhalter oder Stellvertreter für die Mondscheibe fungieren.
Ich für meinen Teil finde den Nachthimmel furchtbar aufregend. Der Mond gehört zu meinen Lieblings-Himmelskörpern und fasziniert mich mit seiner zerklüfteten Kraterlandschaft immer wieder aufs Neue. Also warum sollte man seine Lieblings-Sternenbilder nicht mit ins Grab nehmen, um sie bis in alle Ewigkeit bewundern zu können? Heutzutage lässt die Lichtverschmutzung viele Sterne und Galaxien verblassen und ruiniert die Daten der Forscher. Vor knapp 2000 Jahren sah der Nachthimmel bestimmt noch ganz anders aus. Vielleicht barg er 200 n. Chr. andere Wunder als heute.
Ich finde, dass das eine schöne Vorstellung ist. Wegen des Fehlens passender Parallelen entzieht sich das Bildmotiv auf der Urne von Costedt jedoch einer überzeugenden Interpretation. Die Costedter Urne ist ein einzigartiges Stück und wird uns auch in Zukunft weiterrätseln lassen.
Catharina Gerets, studentische Praktikantin
Literaturverzeichnis:
T. Capelle, Wildes Westfalen - Tierische Fotos und Funde -, Begleitbuch zur Sonderausstellung „Wildes Westfalen. Tierische Fotos und Funde“ im LWL-Museum für Archäologie – Westfälisches Landesmuseum Herne (Herne 2015).
E. Grohne, Mahndorf. Frühgeschichte des Bremischen Raumes (Bremen-Horn 1953).
K. Kröll/T. Küntzel, Urne mit Hirschdarstellung. In: F. Siegmund, Das Gräberfeld der jüngeren Kaiserzeit von Costedt, Bodenaltertümer Westfalens, Band 32 (Mainz 1996) 70–78.
F. Siegmund, Das Gräberfeld der jüngeren Kaiserzeit von Costedt, Bodenaltertümer Westfalens, Band 32 (Mainz 1996).
Abbildungsnachweis:
Abb. 1. Foto: LWL-Museum für Archäologie, Herne/Andreas Ranft.
Abb. 2. Foto: LWL-Museum für Archäologie, Herne/Andreas Ranft
Abb. 3. Zeichnung: E. Grohne, Mahndorf. Frühgeschichte des Bremischen Raumes, Walter Dorn Verlag (Bremen-Horn 1953), S. 103.