Tod durch Hirnhautentzündung

05.12.2019

Abb. 1. Schädelfragment eines Neanderthalers aus Warendorf: Außenansicht und ergänzte Schädelzeichnung © L. Trellisó Carreno nach der Zeichnung von R. Czarnetzki

Der Neanderthaler aus Neuwarendorf

Mein Lieblingsexponat aus der Dauerausstellung des LWL-Museum für Archäologie Herne ist das Schädelfragment eines Neanderthalers. Dieser Neanderthaler wurde wohl 20 bis 30 Jahre alt und lebte vor etwa 90 000 bis 35 000 Jahren. Anthropologen vermuten, dass die Hauptursache seines Todes eine Hirnhautentzündung war.

Das Schädelfragment stammt aus Neuwarendorf, Kreis Warendorf, und gehört zu den ältesten westfälischen Funden aus dem Mittelpaläolithikum. Dort wurde es 1995 von einem Hobby-Archäologen entdeckt. Der Fund lag im Erdmaterial, das beim Ausheben eines Baggersees aus einer Tiefe von ungefähr sieben Metern zutage gefördert wurde. Einen Faustkeil und weitere Steingeräte aus der Altsteinzeit fand man in unmittelbarer Umgebung.

Abb. 2. Karte vom Fundort © St. Horst unter Verwendung einer Zeichnung von J. Frantz.

Erst drei Jahre, nachdem der Fund gemeldet wurde, wurde nachgewiesen, dass es sich um das Schädelfragment eines 20 bis 30 Jahre alten Neanderthalers handeln muss. Das ist an der Hirnhautarterie auf der Schädelinnenseite zu erkennen, welche sich bei einem Neanderthaler von der des Homo sapiens unterscheidet.

In unseren Breiten lebten der Neanderthaler und der Homo sapiens wohl über 10 000 Jahre zusammen und teilten sich so ihren Lebensraum. Der Neanderthaler gehörte allerdings einer eigenen Entwicklungslinie an, die vor rund 35.000 Jahren stark zurückging, wohingegen der Homo sapiens anatomisch schon früher so aussah wie wir. Heutzutage tragen wir einen kleinen Prozentsatz an Neandertaler-DNA in uns – ein weiterer Nachweis, dass sich beide Gruppen begegnet sein müssen.

Abb. 3. Ein Neanderthaler bei der Bearbeitung eines Speeres © Neanderthal Museum, Mettmann

Die Archäologin Barbara Rüschoff-Thale (jetzt: Rüschoff-Parzinger) vermutete als erste, dass es sich bei diesem Fund wohl um das Schädelfragment eines Neanderthalers handelt. Auch der Neanderthaler-Experte Alfred Czarnetzki von der Universität Tübingen konnte dies bestätigen. Aktuell liegt dem Museum eine Anfrage für eine Neuuntersuchung vor. Ob neue Techniken ein anderes Ergebnis bringen?

Neanderthaler lebten mehr als 250.000 Jahre lang, bis man ihre Spur verlor. Es gibt dazu verschiedene Theorien, zum Beispiel, dass es einen Krieg zwischen Neanderthalern und dem Homo sapiens gegeben haben könnte. Diese Theorie entstand, nachdem Forscher 1899 in Kroatien mehr als 800 Überreste von Knochen fanden, die man Neanderthalern zuordnen konnte. Bis heute forschen Wissenschaftler weiterhin zu der Frage, was mit den Neanderthalern geschah und warum sie allmählich verschwanden.

Ich, als Praktikantin, finde dieses Exponat so außergewöhnlich, da es eine Geschichte mit sich bringt, die man noch erforschen muss. Außerdem beeindruckt mich, dass es, obwohl es schon so alt ist, trotzdem noch in einem so guten Zustand erhalten ist. In all den Jahrtausenden war es im Boden beispielsweise unterschiedlichen Temperatur- und Druckverhältnissen ausgesetzt und ist dennoch kaum beschädigt. Außerdem finde ich es auch spannend, dass man nur anhand des Schädelfragments erkennen kann, das dieser Neandertaler zwischen 20 und 30 Jahren alt gewesen sein muss, und außerdem vermutlich an einer Hirnhautentzündung gestorben war. Solche Erkenntnisse kann man einzig und allein – mit verschiedenen naturwissenschaftlichen Methoden - nur aus diesem einen Schädelfragment ablesen.

Abb. 4. Schädelfragment eines Neanderthalers aus Warendorf © LWL-Archäologie/ C. Moors.

Der Neanderthaler war, anders als früher vermutet, ein geschickter Waffenkünstler und Überlebenskünstler, der in kleinen Gruppen durch Europa wanderte. Er beherrschte bereits das Feuer und konnte sich auch dem Klima anpassen. Damals wurde er ungefähr 30 Jahre alt, selten älter, allerdings gibt es auch Skelettfunde von Neanderthalern, die mehr als 40 Jahre alt wurden. Das weist darauf hin, dass sich die Neanderthaler auch – sozial organisiert – um die Älteren kümmerten.

Außerdem bestatteten die Neandertaler ihre Verstorbenen, oftmals in Rückenlage. Bei einem Teil der Verstorbenen wurde wahrscheinlich das Gewebe von den Knochen getrennt und die Knochen aufgebrochen, wie bei Tieren. Das klingt wie grausamer Kannibalismus, ist wohl allerdings eher Teil eines religiösen Rituals.

Viele dieser Aspekte beweisen also, dass der Neanderthaler, anders als viele vielleicht denken, schon sehr schlau war.
 

Sophia Böhm, Schülerpraktikantin

Abb. 5. Schädelfragment eines Neanderthalers aus Warendorf in der Vitrine im Kubus „Evolution“ © LWL-Archäologie/ C. Moors.

Bibliographie:

Baales, Michael 2013. Die ältesten Spuren des Menschen im Soester Raum – ein aktueller Überblick. In: Melzer, Walter (Hrsg.), Neue Forschungen zum Neolithikum in Soest und am Hellweg. Soester Beiträge zur Archäologie 13, Soest: Westfälische Verlagsbuchhandlung Mocker & Jahn, S. 9–26.

Horn, H. G. (Hrsg.) 2006. Neandertaler + Co. Führer zu archäologischen Denkmälern im Rheinland 4. Köln u. Bonn.

Rüschoff-Thale, B. 2004. Die Toten von Neuwarendorf in Westfalen. 341 Gräber vom Endneolithikum bis in die Spätlatènezeit. Bodenaltertümer Westfalens 41. Mainz: Verlag Philipp von Zabern.

Rüschoff-Thale, B. 2006. Neuwarendorf, Kreis Warendorf – Neandertaler + Co. aus den Kottruper-Baggerseen. In: H. G. Horn (Hrsg.), Neandertaler + Co. Führer zu archäologischen Denkmälern im Rheinland 4. Köln u. Bonn, S. 222–225.


Abbildungsnachweis:

Abb. 1. Schädelfragment eines Neanderthalers aus Warendorf: Außenansicht und ergänzte Schädelzeichnung © L. Trellisó Carreno nach der Zeichnung von R. Czarnetzki. Aus: Rüschoff-Thale, B. (2004): Die Toten von Neuwarendorf in Westfalen, 341 Gräber vom Endneolithikum bis in die Spätlatènezeit. Bodenaltertümer Westfalens 41, S. 5 Abb. 6.

Abb. 2. Karte vom Fundort © St. Horst unter Verwendung einer Zeichnung von J. Frantz im Auftrag des Westfälischen Museums für Archäologie, Münster. Aus: Rüschoff-Thale, B. (2004): Die Toten von Neuwarendorf in Westfalen, 341 Gräber vom Endneolithikum bis in die Spätlatènezeit. Bodenaltertümer Westfalens 41, S. 4 Abb. 5.

Abb. 3. Ein Neanderthaler bei der Bearbeitung eines Speeres © Neanderthal Museum, Mettmann. Aus: Horn, H. G. (Hrsg.) 2006. Neandertaler + Co. Führer zu archäologischen Denkmälern im Rheinland 4. Köln u. Bonn, Frontispiz
 
Abb. 4. Schädelfragment eines Neanderthalers aus Warendorf © LWL-Archäologie/ C. Moors.

Abb. 5. Schädelfragment eines Neanderthalers aus Warendorf in der Vitrine im Kubus „Evolution“ © LWL-Archäologie/ C. Moors.