Venezianisches Glas - Luxus kunstvoller Gläser

10.03.2025 Praktikant:in

Abb 1: Schlangen- oder Flügelglas mit klar-blauem verziertem Stiel (c) LWL-Museum für Archäologie Herne (Foto: Cornelia Moors)

Einleitung

Die venezianischen Kelchgläser des 17. Jahrhunderts sind weit mehr als einfache Trinkgefäße – sie sind wahre Kunstwerke, die von der Meisterschaft eines Handwerks zeugen, das seine Wurzeln tief in der Tradition und Kultur Venedigs hat. Ihre kunstvolle Herstellung, die innovativen Techniken und die unverwechselbare Ästhetik machen sie zu Symbolen einer Epoche, in der Kunst, Luxus und technischer Fortschritt harmonisch miteinander verschmolzen. Meine Lieblingsobjekte aus der Dauerausstellung des LWL-Museums für Archäologie und Kultur Herne sind Gläser dieser Art.

Abb 2: Schlangen- oder Flügelglas mit milchig-weiß verziertem Stiel (c) LWL-Museum für Archäologie Herne (Foto: Cornelia Moors)

Beschreibung:

Es werden vier Stück von diesen Kelchgläsern präsentiert. Eins davon ist in einer Holovitrine ausgestellt.

Das erste Bild zeigt ein kunstvoll gearbeitetes Kelchglas, es ist noch relativ vollständig erhalten. Das Glas wird als Flügel-/Schlangenglas bezeichnet, den Namen trägt es aufgrund der Verzierungen am Stiel. Es hat eine Höhe von 14,5 cm, einen Bodendurchmesser von 8 cm und einen Mundstückdurchmesser von 8,5 cm. Es wiegt 65,9 g. Der Kelch selbst hat eine leicht konische Form, die sich nach oben hin weit öffnet. Die Wandung des Glases ist dünn und weist altersbedingte Trübungen sowie leichte Schäden auf. Besonders auffällig ist der reich verzierte Stiel, der aus kunstvoll miteinander verschlungenen Glaselementen besteht. Diese filigranen Verzierungen setzen sich aus transparentem und milchig-weißem Glas zusammen. Die äußeren, symmetrisch angeordneten Elemente erinnern in ihrer Struktur an Schlangen. Der Fuß des Kelchglases ist flach, rund und relativ breit, was für eine stabile Standfläche sorgt. Auch hier sind leichte Trübungen zu erkennen, die typisch für altes Glas sind.

Abb 3: Schlangen- oder Flügelglas mit klar-blauem verziertem Stiel (c) LWL-Museum für Archäologie Herne (Foto: Cornelia Moors)

Das nächste Bild zeigt ein weiteres kunstvoll gefertigtes, jedoch fragmentarisch erhaltenes Kelchglas. Es hat eine Höhe von 16,7 cm, einen Bodendurchmesser von 7,6 cm und ein Gewicht von 52,6 g. Besonders auffällig sind die kunstvollen Verzierungen am Stiel, die eine Dicke von 0,7 cm aufweisen. Das Glas besteht aus einer Kombination von transparentem und farbigem Material. Der Kelch selbst ist stark beschädigt und weist am oberen Rand eine große Fehlstelle auf. Ursprünglich hatte er vermutlich eine weit geöffnete, leicht konische Form. Der Stiel ist kunstvoll gestaltet und mit filigranen, verschlungenen Glasornamenten verziert, die Schlangen oder ineinander verschlungene Ranken darstellen. Diese Elemente bestehen innen aus rosa-transparentem und außen aus klarem-blauem Glas. Der Fuß des Kelchglases ist flach, rund und relativ breit. Er zeigt zudem Ablagerungen oder Trübungen, die auf das hohe Alter des Objekts hindeuten.

Diese beiden Gläser wurden im Kloster Brenkhausen, Kreis Höxter, Bielefeld gefunden und beide werden ins 17. Jahrhundert datiert. Die Alterstrübungen beider haben einen blauen/Perlmutt Schimmer, der durch Glaskorrosion verursacht wird. Als Glaskorrosion wird die strukturelle Veränderung und damit verbundene Verwitterung der Oberfläche von Glas durch verschiedenartige chemische und physikalische Einflüsse bezeichnet.

Abb 4: Kelchglas mit eingeschmolzenen Fäden (c) LWL-Museum für Archäologie Herne (Foto: Cornelia Moors)

Das rechts abgebildete Kelchglas ist ein größtenteils erhaltenes Stück. Es hat eine Höhe von 16 cm, einen Bodendurchmesser von 6,4 cm, einen Mundstückdurchmesser von 8,5 cm und ein Gewicht von 107,7 g. Der Kelch selbst ist bauchig und konisch geformt, wobei seine Oberfläche mit einer kunstvollen Reliefverzierung versehen ist. Diese Verzierung besteht aus eingeschmolzenen Glasfäden aus einem milchig-weiß gefärbten Glas. Der Kelch weist einige Risse und kleinere Beschädigungen auf. Der Stiel des Glases ist relativ kurz und mit einem Löwenkopf verziert, dieser wurde allerdings nachträglich ergänzt. Gefunden wurde es in Schloss Horst, Gelsenkirchen, und datiert zwischen 1550-1600, ursprünglich kommt es wohl aus einer Glasmanufaktur aus Antwerpen oder Venedig.

Abb 5: Schlangen- oder Flügelglas mit klar-blauem verziertem Stiel (c) LWL-Museum für Archäologie Herne (Foto: Cornelia Moors)

Das linke Bild zeigt ein Kelchglas mit einer noch erhaltenen Höhe von 9,6 cm und einer maximalen breite von 4,9 cm und einem Gewicht von 31,9 g. Es ist so gut wie nur der Stiel erhalten, der Ansatz des Kelchs am Stiel ist noch zu erkennen, sowie der Fuß auch noch fragmentarisch zu sehen ist. Der Stiel besteht aus einer verdrehten Glasstange, die herzartige geformt wurde. Das Glas ist fast vollständig aus klarem Glas, nur die äußere Verzierung auf einer Seite ist in einem transparenten-blauen Glas gehalten. Das Bruchstück stammt aus dem Wassergraben der ehemaligen Burg Gronau. Diese 1365 erstmals erwähnte Anlage wurde 1964 abgetragen und mit einem Kaufhaus überbaut – 2018 fanden Archäolog:innen nach Abriss des Kaufhauskomplexes noch etliche Spuren und viele Funde aus der verloren geglaubten Wasserburg, wie dieses Glasfragment. Dieses Stück ist in der Holovitrine ausgestellt. Zu dieser gleich noch mehr, aber zuerst machen wir einen kleinen Abstecher in die Geschichte der venezianischen Glasherstellung.

Kurzer Einblick in die Geschichte der venezianischen Glasherstellung:

Die Herstellung von venezianischem Glas war ein streng gehütetes Geheimnis, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Auf Murano, der Hochburg der venezianischen Glaskunst, wurde in geschlossenen Zünften gearbeitet, die ihre Technik und Rezepte sorgsam vor der Konkurrenz schützen.

Die Glasherstellung in Venedig hat eine lange Tradition: Das älteste erhaltene Dokument über die Ursprünge ist ein Manuskript aus dem Jahr 982 n. Chr., in dem ein gewisser Domenicus fiolarius (Domenic der Glasbläser) erwähnt wird. Aus dem 11. bis 12. Jahrhundert gibt es mehrere Dokumente, die auch Arbeiten von Glasbläsern erwähnen. Die frühesten Dokumente mit technischen Informationen stammen aus den Jahren 1233 und 1255. Sie belegen den Import von Rohglas und Glasbruch aus der Levante, was darauf hindeutet, dass Venedig ursprünglich ein Zentrum war, in dem anderswo hergestelltes Glas wieder eingeschmolzen und bearbeitet wurde. Der vollständige Glasherstellungszyklus ist seit 1255 (Import von Pflanzenasche aus der Levante) und 1275 (Import von Sand zur Glasherstellung) belegt. Aus Brandschutzgründen wurde die Glasindustrie ab November 1291 auf die Insel Murano beschränkt.

Seit die Glasbläsermeister in Venedig um 1300 das farblose „cristallo“-Glas erfanden, steht dieses auf den Speisetafeln der Reichen. Die schwer zu beschaffenden Rohstoffe und das geheime Wissen der Werkstätten machten es teuer und begehrt. Cristallo, hochtransparent und nahezu makellos, wurde zum Synonym für venezianisches Glas und war als vetro alla Vinitiana oder venedisches Glas bekannt. Es war als Erfindung allgemein für seinen Einfallsreichtum und seine künstlerische Innovation berühmt. Um zu verhindern, dass das Wissen und Können sich verbreitet, versuchte der Stadtstaat Venedig mit verschiedenen Mitteln und Verboten, die Glasbläsermeister an sich zu binden und eine Abwanderung zu verhindern. Auch die Ausfuhr von Rohstoffen war untersagt.

Erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts n. Chr. gelangten die ersten venezianischen Glasmacher in die Regionen nördlich der Alpen und produzierten hier das gleiche hochwertige Cristallo. Als „à la façon de Venise“ bekannt, ein Begriff, der erstmals 1549 dokumentiert wurde, verbreitete sich die Technik in Europa und darüber hinaus. Die Gläser dieser Herstellungstechnik sind kaum von den in Venedig hergestellten zu unterscheiden. Das Geheimnis in der Herstellung von Cristallo lag in der sorgfältigen Auswahl und präzisen Mischung der Rohstoffe. Für die Herstellung kamen hochwertiger Quarzsand, Soda und Kalk zum Einsatz. Da die ausgewanderten Glasbläser ihre Werkstätten fernab von Venedig betrieben, waren sie gezwungen, alternative Rohstoffe zu verwenden. Ob sich durch physikalische Messmethoden zweifelsfrei feststellen lässt, ob ein Glas authentisch venezianisch ist oder lediglich in der Art von Venedig gefertigt wurde, bleibt bislang ungeklärt.

Abb. 6 Herstellungsschritte eines Kelchglases 1. Konzept: LWL-Museum für Archäologie/S. Jülich; Animation: Puppeteers, Dortmund

Die Holovitrine:

In der Dauerausstellung kann man dank der Holovitrine den Herstellungsprozess eines venezianischen Kelchglases wunderbar beobachten: Die Herstellung des Glases beginnt mit einer speziellen Mischung: Zermahlene Flusskiesel bilden die Hauptkomponente, während Asche von salzhaltigen Küstenpflanzen die Schmelztemperatur reduziert. Kalk, Rost und Weinstein verleihen dem Glas zusätzliche Stabilität, während alte, farblose Glasscherben das Vermengen erleichtern. Soll das Glas zum Beispiel eine aquamarinblaue Färbung erhalten, wird Kupfer(II)-Oxid hinzugefügt.

Dieses Gemisch wird stark erhitzt, bis es schmilzt. Mit einer Glasmacherpfeife wird die zähflüssige Glasmasse aufgenommen und leicht aufgeblasen. Diese wird zu einem hohlen Zylinder geformt und anschließend in einer feuchten Holzform zu einer gleichmäßigen Kugel modelliert. Durch vorsichtiges, aber kräftiges Blasen entsteht ein Glasballon, der erneut zu einem hohlen Zylinder geformt wird. Während des gesamten Prozesses muss das Glas wiederholt in den Ofen, um eine Temperatur zwischen 970°C und 1070°C zu halten – nur so bleibt es formbar. Ein Hefteisen und ein zylinderförmiges Glasstück wird angesetzt und nach dem Anritzen der Glaswand wird die Pfeife entfernt, und der Glaszylinder mit einer Auftreibschere geweitet, um die Kelchform zu erzeugen. Anschließend wird ein weiteres kleines Stück heißes Glas auf den Boden des Kelchs gesetzt um ein zweites Hefteisen zu befestigen. Das zylinderförmige Glasstück wird mit der Auftreibschere spindelförmig zugerichtet (Abb. 6).

Abb. 7 Herstellungsschritte eines Kelchglases 1. Konzept: LWL-Museum für Archäologie/S. Jülich; Animation: Puppeteers, Dortmund

Für den Stiel wird geschmolzenes Glas in eine gerillte, nasse Holzform gepresst und am Kelch angebracht. Während der Meister Kelch und Stiel in entgegengesetzte Richtungen verdreht, entsteht eine filigrane Verbindung. Mithilfe einer Auftreibschere wird der Stiel weiter geformt, wobei die Glasmasse durch ständiges Drehen in Form gehalten wird. Durch einen weiteren kleinen Glaszylinder wird der Stiel verlängert und eine Glaslinse bildet die Verbindung zum Fuß. Der Fuß selbst wird aus einer Glasblase geformt und anschließend so auf geweitet, dass er eine stabile Standfläche bietet.

Zur Verzierung bringt der Glasmeister ein Stück farbiges Glas an der Außenkante des Stiels an und zieht es mit einer Pinzette in Form. Schließlich kneift er mit der Zange feine Reliefstrukturen in das Glas.

Das fertige Glas wird mit einer Holzgabel fixiert und mit einem gezielten Schlag vom Hefteisen getrennt. Damit es nicht zerspringt, muss es mindestens über eine Nacht langsam in einem Kühlofen abkühlen. Erst während dieses Prozesses entfalten sich die endgültigen Farben des Glases (Abb. 7).

Ein Symbol für Luxus und Status – Ein Meisterwerk der Individualität:

Venezianische Kelchgläser des 17. Jahrhunderts waren weit mehr als kunstvoll gefertigte Trinkgefäße – sie galten als Symbole für Luxus und gesellschaftlichen Status. Ihre raffinierte Gestaltung, filigranen Verzierungen und seltenen Materialien machten sie zu begehrten Prestigeobjekten, die ausschließlich den höchsten Kreisen vorbehalten waren.

Trotz standardisierter Produktionsmethoden und Zunftvorgaben besaß jedes Glas eine individuelle Note, da Glasmacher ihre eigene Handschrift in Form, Farbe und feinen Details einbrachten. Dies verlieh jedem Exemplar einen einzigartigen Charakter und machte es zu einem eigenständigen Kunstwerk.

Export:

Der florierende Seehandel Venedigs ermöglichte eine weite Verbreitung dieser edlen Gläser. Sie schmückten nicht nur Tafeln in Italien, sondern fanden ihren Weg in die Adelshäuser und Königshöfe Frankreichs, Spaniens, Englands und weiterer Regionen Europas. Diese weite Verbreitung machte die venezianische Glaskunst zu einem der begehrtesten Luxusgüter ihrer Zeit.

Kultureller Einfluss und künstlerische Weiterentwicklung:

Mit dem Export dieser Gläser ging auch ein kultureller Austausch einher. Die innovativen Techniken und künstlerischen Ideen der venezianischen Meister beeinflussten Glasmanufakturen in ganz Europa. Viele Werkstätten adaptierten und entwickelten die venezianischen Methoden weiter, was zur Blüte der europäischen Glaskunst beitrug. So wurde das Erbe der venezianischen Glasbläser zu einem prägenden Element der europäischen Kunstgeschichte.

In Murano sind die Glasöfen noch heute in Betrieb und einige ihrer Techniken sind immer noch ein Geheimnis der Meister.

Runa S. Bohle
Studentische Praktikantin


Literatur:

Burkart, L., “Negotiating the Pleasure of Glass: Production, Consumption, and Affective Regimes in Renaissance Venice.”. In: Materialized Identities in Early Modern Culture, 1450-1750: Objects, Affects, Effects, edited by Lucas Burkart et al., Amsterdam University Press, 2021, S. 57–98. JSTOR, https://doi.org/10.2307/j.ctv1w9m9f9.6. Accessed 25 Feb. 2025.

Dreier, F. A., Venezianische Gläser und »façon de Venise«. Kunstgewerbemuseum Berlin. Kataloge des Kunst Gewerbe Museums Berlin 12 (Berlin 1989).

Friedrich, K. T. et. al., Venezianisch oder »à la façon de Venise«? Ein neu er Anlauf zur Lösung einer klassischen Fragestellung bei der Zuschreibung frühneuzeitlicher Gläser. METALLA Sonder heft 11, 2021, S. 38–40.

Jülich, S., Glasklare Handwerkskunst – ein Schlangen- oder Flügelglas aus Gronau. In: LWL-Archäologie für Westfalen/ Altertumskommission für Westfalen (Hrsg.), Archäologie in Westfalen-Lippe 2021. Langenweißbach 2022, S. 297-299.

Scuro, R., “Shaping Identity through Glass in Renaissance Venice.”. In: Materialized Identities in Early Modern Culture, 1450-1750: Objects, Affects, Effects, edited by Susanna Burghartz et al., Amsterdam University Press, 2021, S. 99–134. JSTOR, https://doi.org/10.2307/j.ctv1w9m9f9.7. Accessed 25 Feb. 2025.

Spiegel, W., Die Geschichte vom Glasmachen 1550 bis 1700. Waldglas, venezianisches »cristallo«, böhmisches Kreideglas (2002).
https://glas-forschung.info/pageone/pdf/cristallo.pdf

Tausendfreud, H., Hohlglas aus Westfalen-Lippe. Vergleichende Untersuchungen zu Archäologischen Funden des Mittelalters und der Neuzeit, Band 1, Tübingen 2014).

Verità, M., et al. “Venetian Glass.”. In: Encyclopedia of Glass Science, Technology, History, and Culture. John Wiley & Sons, Inc, 2021, S. 1327–40.
https://doi.org/10.1002/9781118801017.ch10.7.
Text des Films der Holovitrine