Was Frösche und Mäuse mit einem Vorlegemesser zu tun haben

17.11.2025 Marco Krüger

Eine meiner ersten Aufgaben, als ich als Praktikant im Deutschen Klingenmuseum Solingen anfing, war die genauere Untersuchung eines Tranchier-/Vorlegebestecksets, welches ich kurz zuvor leicht ironisch als „zu groß geratenes Kuchenbesteck“ betitelt hatte (Abbildung 1). In die Schmalseiten der einzelnen Griffe waren Sprüche eingelegt, deren Ursprung ich herausfinden sollte. Sie erinnerten sehr an typische Lebensweisheiten aus Kalendern, die man heutzutage in fast jedem Laden kaufen kann. Dieses Vorlegemesser und das dazugehörige Tranchierbesteck kamen mit der Marquardt-Sammlung in das Deutsche Klingenmuseum Solingen und wurden an das LWL-Museum für Archäologie und Kultur/Westfälisches Landesmuseum Herne im Zuge der Ausstellung „Mahlzeit! – Wie Essen uns verbindet“ ausgeliehen.

Vorlegemesser und Tranchierbesteck aus der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts. Vermutlich Donauraum. Foto: Deutsches Klingenmuseum Solingen; Lutz Hoffmeister

Dieser Artikel wird sich hauptsächlich mit dem Vorlegemesser des Bestecksets befassen, da die Inschriften der Gabel und des Tranchiermessers nicht zugeordnet werden können.

Äußere Merkmale des Vorlegemessers

„GEWALT.GELT.UND.GUNST.BRICHT.RECHT.TREU.UND.KUNST“ so lautet die Inschrift auf einem Vorlegemesser, das vermutlich aus der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts stammt. Es ist Teil eines Sets, welches man in der Sonderausstellung „Mahlzeit! – Wie Essen und verbindet“ sowohl in analoger als auch in digitaler Form bewundern kann. Es wird den Besucher*innen der Ausstellung durch den Solinger Händler Johann Schimmelbusch am VR-Dinnertisch näher vorgestellt. Der Griff des Messers besteht aus Elfenbein, welches mit feinen Mustern aus Silberdraht durchzogen ist.

Das Vorlegemesser misst 56,5 cm in der Gesamtlänge und wurde hauptsächlich benutzt, um Fleischstücke, die mit dem Tranchierbesteck zerlegt wurden, den Gästen zu präsentieren und zu reichen. Der Erhaltungszustand des kompletten Bestecksets ist sehr gut. Offensichtlich lagen dem Besitzer und den nachfolgenden Erben viel daran, diese besonderen und teuren Stücke so gut wie möglich zu erhalten. Der Auftraggeber dieser Arbeit muss sehr wohlhabend gewesen sein, worauf die feine Arbeit und teuren Materialen schließen lassen. Aufgrund der Schmiedemarke wird vermutet, dass das Besteck aus Gran in Ungarn stammt, jedoch lässt sich dies nicht mit Sicherheit beweisen.

Abbildung 2: Löffel, Holzschale und Messer mit Holzgriff aus dem 15. Jahrhundert. Für einen überwiegenden Teil der Bevölkerung war es das Essbesteck für alle Mahlzeiten. Foto: Deutsches Klingenmuseum Solingen; Lutz Hoffmeister

Die Rolle und Geschichte des Bestecks

Der Bestecksatz aus Messer, Gabel und Löffel wie wir ihn heute kennen, entstand erst allmählich im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts. Es gibt einzelne Sätze aus den Jahrzehnten davor, bei diesen handelt es sich jedoch um extrem seltene und wertvolle Einzelfälle, die als nicht repräsentativ gelten. Davor bestand das Esswerkzeug für den Großteil der Bevölkerung aus Löffel und Messer (Abbildung 2).

Abbildung 3 und 4: Schaufel- und Spießgabel im Vergleich. Beide Exemplare stammen aus den Niederlanden. Foto: Deutsches Klingenmuseum Solingen; Lutz Hoffmeister

Ab dem letzten Viertel des 17. Jahrhunderts werden dreiteilige Bestecksätze – Messer, Gabel, Löffel ­– häufiger, jedoch sind sie vor allen Dingen in adeligen Kreisen in Gebrauch. Mit dieser Entwicklung veränderte sich auch die Form des Bestecks: Aus der Spießgabel wurde die Schaufel- oder Kellengabel, der Löffel passt sich der Gabelform an. Es entwickelten sich Besteckformen, die im Grunde bis heute Gültigkeit haben. (Abbildung 3). Kostbare Materialien wie Elfenbein, Bernstein, Gold, Silber oder Perlmutt machten Bestecke auch zu einer veritablen Kapitalanlage, die über ihren Wert hinaus auch einen sehr praktischen Nutzen hatte.

Es war nicht unüblich, dass Lebensweisheiten oder Zitate von berühmten Persönlichkeiten in Bestecke eingraviert oder eingelegt wurden. Die Inschrift auf dem Vorlegemesser stammt (in leicht abgewandelter Form) aus dem Buch „Froschmeuseler“ des Autors Georg Rollenhagen (1542 – 1609). Das Originalzitat lautet: „Denn Geld/Gewalt und Herrengunst/zubricht Ehr/Recht/und alle Kunst“. Eine Vermutung für die verkürzte Version auf dem Vorlegemesser wäre, dass schlicht und ergreifend zu wenig Platz vorhanden war, um das Zitat in voller Länge unterzubringen.

Der „Froschmeuseler“ von Georg Rollenhagen

Georg Rollenhagen wurde 1542 in der Nähe von Berlin geboren, verbrachte jedoch den Großteil seines Lebens in der Stadt Magdeburg, die 1551 von Truppen von Georg von Mecklenburg mit der Unterstützung des Kaisers Karl V. belagert wurde. Es wäre plausibel anzunehmen, dass dieses Ereignis Rollenhagen in seiner pazifistischen Einstellung bestärkte, auch wenn er zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Stadt Magdeburg lebte. Rollenhagen sollte seinen Weg erst sieben Jahre später nach Magdeburg finden und dort seinen Schulabschluss erlangen. Er wurde in seinen Werken stark von Erasmus von Rotterdam und Melanchthon beeinflusst, die berühmten Vertreter des Pazifismus darstellen.

Titelblatt des Froschmeuselers von Georg Rollenhagen (Quelle: Wikipedia)

Sein bis heute bekanntestes Werk ist der „Froschmeuseler“, das auf der pseudo-homerischen Fabel des „Frosch-Mäuse-Kriegs“ basiert (Abbildung 4). Es ist auch unter dem griechischen Namen „Batrachomyomachia“ (Übersetzung: „kleiner Streit“, „triviale Auseinandersetzung“) bekannt und wurde lange Homer zugeschrieben. Dies ist laut Forschung jedoch unwahrscheinlich und die Autorenschaft ist weiterhin umstritten.[1] Sprachwissenschaftliche Forschungen legen nahe, dass die antike Fabel in das 1. Jahrhundert vor Christus datiert.

Inhalt und Hintergrund der Fabel

Es wird von einer epischen Schlacht zwischen Fröschen und Mäusen berichtet, die nur durch eine Intervention der Götter beendet werden kann. Der Froschprinz (Bausback) lädt den Mäuseprinz (Bröseldieb) ein, sein Froschreich – einen Teich – zu besichtigen. Dazu nimmt er Bröseldieb auf seinen Rücken und sie erkunden zusammen den Teich. Als eine Wasserschlange erscheint, taucht Bausback in Panik unter und der Mäuseprinz ertrinkt jämmerlich. Sein Gefolge berichtet dem Mäusekönig von dem Unglücksfall, worauf dieser den Fröschen sogleich den Krieg erklärt.

Die Fabel ist eine Parodie auf das typisch griechische Epos. Statt großer Helden, treten kleine Tiere mit lächerlichen Namen auf, die trotz ihrer Größe kaum durch die Götter gebändigt werden können. Man stelle sich vor: Homer, einer der größten Dichter der griechischen Antike, der durch seine epischen Erzählungen berühmt wurde, dichtet eine Satire und zieht seine eigenen Erzählungen beinahe ins Lächerliche. Kein Wunder also, dass dies eine verführerische These ist, die lange Zeit durch das bekannte Archelaosrelief gestärkt wurde, welches augenscheinlich eine Maus und einen Frosch zeigt, die zu Homers Füßen spielen. Mittlerweile diskutiert man, ob es sich bei den zwei Tieren um Mäuse handelt, welche Homers Kritiker darstellen, die langsam sein Werk „anknabbern“.

Ursprünglich umfasste die Fabel nur 300 Hexameter, eine Versform, die sich in vielen antiken Werken, wie beispielsweise auch der „Ilias“ von Homer wiederfindet. Rollenhagen baute das Werk dagegen in ein 20.000 Verse umfassendes Buch um, welches er 1595 zum ersten Mal publizierte. Er war weder der erste noch der letzte Autor, der sich der antiken Fabel annahm. Vor ihm wurde die Fabel schon in Byzanz und Italien neu interpretiert, diskutiert, als Schullektüre genutzt und übersetzt. Nach ihm interpretierte Jacob Balde (1604 - 1668) die Fabel neu, welcher stark durch den damals herrschenden 30-jährigen Krieg beeinflusst war.

Zweck der Ausweitung

Aber wozu die Ausweitung der ursprünglich so kurzen Fabel? Rollenhagen erweiterte die kurze Fabel um mehrere Geschichten aus der griechischen Mythologie und Volkserzählungen, die das Verständnis von richtig und falsch sowie Grundsätze der Moral hinterfragen und verstärken sollen. So auch in dem Abschnitt, aus dem das erwähnte Zitat stammt: In den Kapiteln davor und danach wird die Geschichte von Reinik erzählt, eine Figur, die stark an Reineke Fuchs orientiert ist. Reinik ist ein listiger, betrügerischer und opportunistischer Fuchs, der in allem stets seinen eigenen Vorteil sucht. Er zeigt durch seine Erzählungen und Taten die Doppelmoral des Adels auf. Er verweist auf die Situation mancher Gottesgläubiger, denen all ihr Glaube und ihre Frömmigkeit nicht weiterhilft, da sie trotz Lob der Gesellschaft weiterhin in Armut leben. Und er spricht sich gegen die Frömmigkeit aus („Mit fromsein kann ich nichts bekommen.“) Und führt ein paar Zeilen später weiter aus: „Denn Geld/Gewalt und Herrengunst/zubricht Ehr/Recht/und alle Kunst“: Auch hier nutzt moralisches Verhalten wenig, denn die Herrschaftsordnung bleibt ungerecht, da sie auf Bestechlichkeit, Gewalt und Bevorzugung ruht. Reinik weiß dies zu seinem Vorteil zu nutzen und sucht des Königs Gunst, um so unter dessen Schutz zu stehen. Bewußt nutzt Reinik das System zu seinem Vorteil aus und wirft für den Lesenden die Frage auf, ob dieses Verhalten moralisch vertretbar ist.

Was sagt dies über die Besitzer des Bestecks aus?

Der Spruch für sich genommen ist sehr eindeutig. Er ist eine Aussage über die damaligen Machtverhältnisse der Gesellschaft des späten 16. Jahrhunderts. Nimmt man jedoch die Aspekte der Fabel um den Fuchs Reinik noch mit dazu, bekommt das Ganze eine spannende moralische Komponente. Wussten die Besitzer bzw. Auftraggeber von dem Kontext des Zitats? Gaben sie das Zitat explizit so in Auftrag oder wurde dem Handwerker freie Hand bei der Auswahl eines passenden Spruchs gelassen? Wenn sie den Auftrag für genau diesen Spruch gaben, welche Einstellung hatten sie zu Herrschaft, Macht und Einfluss?  Es wäre fast schon zynisch, wenn der Besitzer oder die Besitzerin, - wahrscheinlich der Oberschicht angehörend -, die Kritik Rollenhagens an dem Herrschaftssystem kannte und sich trotzdem dazu entschied, ein solches Besteck allen Gästen öffentlich zu präsentieren.

Was bleibt uns also? Wenig, bis auf Spekulationen. Vielleicht war die Person, die das Besteck besaß oder sogar in Auftrag gab, tatsächlich so liberal, um subtil ihre Kritik am damaligen Herrschaftssystem ihren Gästen, die vermutlich ebenso aus der Oberschicht stammten, zu präsentieren. Vielleicht aber verstand sie auch die Ironie und den Zynismus hinter Rollenhagens Aussagen nicht. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass der Hersteller dieses Bestecks die Freiheit hatte, eine Inschrift auszuwählen und so seine Kritik geäußert hat. Allerdings wäre dies mit hohem Risiko bei geringem Nutzen verbunden gewesen. Oder der Spruch wurde vollkommen willkürlich gewählt, was ich für die unwahrscheinlichste aller Vermutungen halte. Da eine genaue Datierung des Vorlegemessers fehlt, lässt sich leider nicht sagen, ob und inwieweit der 30-jährige Krieg die Entscheidung zu dieser Inschrift beeinflusst hat. Es wäre plausibel anzunehmen, dass er die Kritik an dem Herrschaftssystem verstärkte, auch in der Oberschicht, die gleichermaßen/ebenso unter dem Krieg litt.

 

Marco Krüger


Literaturverzeichnis

Amme, Jochen: Historische Bestecke. Aachen 2011.

Mancuso, Salvatore: Zur Datierung des Archelaosreliefs. Frankfurt, 2010.

Marquardt, Klaus: Europäisches Essbesteck aus acht Jahrhunderten – Eine Kunstsammlung. Stuttgart 1997.

Stroh, Wilfried: Homers Froschmäusekrieg: ein Klassiker der Jugendliteratur in der Neuzeit. URL: Wilfried Stroh: Homers Froschmäusekrieg: ein Klassiker der Jugendliteratur in der Neuzeit (letzter Zugriff: 09.07.2025).

Werle, Dirk/Worms, Katharina: Jacob Baldes Batrachomyomachia Homeri Tuba Romana cantata (1637) und der Dreißigjährige Krieg. URL: werle__worms__scientia_poetica__jacob_baldes_batrachomyomachia_homeri_tuba_romana_cantata__1637__und_der_dreiigjhrige_krieg.pdf (letzter Zugriff: 09.07.2025).

Quellenverzeichnis

Rollenhagen, Georg: Froschmeuseler, Der Frösch und Meuse wunderbare Hofhaltunge. Der andere Teil, Kapitel XII. Magdeburgk. Ausgabe von 1608. In: Digitale Staatsbibliothek Berlin. URL: Digitalisierte Sammlungen der Staatsbibliothek zu Berlin Werkansicht: Froschmeuseler: Der Frösch und Meuse wunderbare Hoffhaltunge ; Der Frölichen/ und zur Weyßheit und Regimenten erzogenen Jugend/ zur anmutigen/ aber sehr nützlichen Lehr aus den alten Poëten und Reymdichtern ...(PPN749494409 - PHYS_0077 - Übersicht mit Inhaltsverzeichnis)

Abbildungsverzeihnis

Abbildung 1: Vorlegemesser und Tranchierbesteck aus der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts.

Foto: Deutsches Klingenmuseum Solingen; Lutz Hoffmeister | Inv.-Nr. 2006.M.210A a-c

Abbildung 2: Löffel, Holzschale und Messer mit Holzgriff aus dem 15. Jahrhundert

Foto: Deutsches Klingenmuseum Solingen; Lutz Hoffmeister

Inv.-Nr. H.96 (Messer) | Inv.-Nr. 87.B.21 (Löffel) | Inv.-Nr. 81.V.1 (Teller)

Abbildung 3: Schaufel- und Spießgabel im Vergleich.

Foto: Deutsches Klingenmuseum Solingen; Lutz Hoffmeister

Inv.-Nr. A.612 (Spießgabel und dazugehöriges Messer mit Besteckköcher | Inv.-Nr. A.615 (Schaufelgabel mit Messer)

Abbildung 4: Titelblatt des Froschmeuselers von Georg Rollenhagen (Quelle: Titelblatt Froschmeuseler - Fabelepos von Georg Rollenhagen (1542–1609) - Froschmeuseler – Wikipedia).

Detailfotos: LWL-MAK/Cornelia Moors