Ab geht die Post!

23.09.2016

Museumshelfer Thomas Bitter und Museumspädagoge Michael Lagers machen sich auf ins Abenteuer (Nachgestellte Szene, Foto: M. Coesfeld).

Jäger des verlorenen Päckchens

Nicht viele Häuser können von sich behaupten, das einzige in einer Straße oder an einem Platz zu sein. Die Hausnummer 1 ist ihnen in den meisten Fällen sicher. Das Reichstagsgebäude am Platz der Republik 1 ist so ein Haus. Auch das Heidelberger Schloss mit der Postanschrift Schlosshof 1 gehört dazu – und eben auch das LWL-Museum für Archäologie, zu finden am Europaplatz 1.

Briefträger und Paketzusteller dürften keine allzu großen Probleme haben, ein solches Gebäude zu finden, da Alternativen faktisch nicht vorhanden sind. Es gibt halt nur das eine Haus an dem einen Platz. Dennoch erreichte uns vor gar nicht allzu langer Zeit via E-Mail folgende Nachricht eines Zustelldienstes: „Lieber Kunde, leider konnten wir Sie unter der angegebenen Adresse nicht finden.“ – Wie bitte???

Nun darf der Vollständigkeit halber nicht unerwähnt bleiben, dass die genannte Anschrift auf dem Paket personalisiert war, und der Name der Person am Europaplatz 1 auf keinem Klingelschild auftaucht. Eine Klingel gibt es aber dennoch, und sogar die Eingangstür stand offen für alle Archäologie-Interessierten wie auch für Briefträger und Paketzusteller. Beides blieb ungenutzt, obwohl es noch wenige Stunden zuvor hieß: „Hallo lieber Kunde, wir haben gute Nachrichten: Ihr Paket ist bald da.“

Die Museumsklingeln (Foto: M. Lagers).

Das Paket, das wir erwarteten, war von großer Bedeutung. Der Inhalt sollte zwei Tage später im Rahmen einer öffentlichkeitswirksamen Aktion prominent zum Einsatz kommen. Ohne die Lieferung wäre diese Aktion kaum durchführbar gewesen. Entsprechend nervös war unsere Reaktion auf die E-Mail. Der Nervositätsgrad stieg noch deutlich an, als wir am Telefon erfuhren, dass das Paket an den Absender zurückgeschickt würde. Ein solcher Schritt hätte unter Umständen fatale Folgen gehabt, nämlich das Aus der öffentlichkeitswirksamen Aktion. Das wollten wir nicht hinnehmen, schon gar nicht, wenn man bedenkt, dass sich unser Paket zum Zeitpunkt des Geschehens womöglich nur wenige 100 Meter vom Museum entfernt durch Herne bewegte. Es musste schnell und entschlossen gehandelt werden.

Wir gingen mit einer Mischung aus angesäuertem und sorgenvollem Gefühl zur Hauptpost. Nach Schilderung der dramatischen Umstände unseres Besuches atmete der Postbeamte tief ein. Beim Ausatmen presste er die Lippen zusammen und schüttelte langsam seinen Kopf. „Vergessen Sie’s!“ Aus diesen Worten sprachen langjährige Erfahrungen mit Postsendungen und -zustellern, die vom rechten Weg hin zur Zufriedenheit der Kunden abgekommen waren. Die Chance, das Paket in den nächsten Stunden, geschweige denn in den nächsten 7 Tagen in unseren Händen zu halten, war gering bis kaum vorhanden. Es gab nur eine Möglichkeit: Wir mussten den Paketzusteller finden.

Sofort machten wir uns auf den Weg. Gleich nach Verlassen der Poststelle fuhr das erste infrage kommende Fahrzeug vorbei. Wir stellten es – per pedes und daher völlig außer Puste – zwei Straßen weiter.

Leider hatten wir auch diesmal kein Glück. Immerhin solidarisierte sich der freundliche Herr mit uns, indem er mit scharfen und kaum zitierfähigen Worten sein Unverständnis über das (Nicht-)Handeln seines unbekannten Kollegen zum Ausdruck brachte. Gleichzeitig machte er uns aber wenig Hoffnung, das passende Fahrzeug zu finden – irgendwo in Herne, auf einer Fläche von 51,42 km². Weiter zu Fuß wäre unser Vorhaben ohnehin von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Wir mussten mobiler werden. Wir wurden mobiler.

Museumshelfer Thomas Bitter und Museumspädagoge Michael Lagers machen sich auf ins Abenteuer (Nachgestellte Szene, Foto: M. Coesfeld).

Zurück am Museum sahen wir, wie der Dienstwagen sich langsam aus seiner Parklücke bewegte. Sofort bewegten wir uns ebenfalls. Noch bevor der Rückwärtsgang entkuppelt war, stellten wir uns der Fahrt in den Weg, übernahmen den Auftrag und hatten von da an einen 1,6-Liter-Dieselmotor als Mobilitätsgaranten zur Verfügung. Das Fahrziel war laut Auftrag Bochum, was den Suchradius enorm eingrenzte, zumal das Ziel binnen 45 Minuten erreicht werden musste. Da es für unsere Suche ohnehin keinen genauen Anhaltspunkt oder gar eine heiße Spur gab, nahmen wir Kurs auf den Förderturm des Deutschen Bergbau-Museums. Plötzlich bog direkt vor uns ein Paketfahrzeug ein und verschwand in der nächsten Seitenstraße – wir hinterher!

Es waren gerade mal 200 Meter, die wir benötigten, um das Fahrzeug zu stellen. Die Seitenstraße war nämlich eine Sackgasse, und wir platzierten den Dienstwagen so, dass es für den Zusteller kein Entkommen gab. Doch noch bevor wir als Verfolger bemerkt wurden, zogen wir uns leicht frustriert und möglichst unerkannt wieder zurück. Der zugestellte Zusteller stellte sich nämlich als der heraus, den wir bereits kurze Zeit zuvor gestellt hatten.

Der letzte Funke Hoffnung drohte, zu erlöschen. Ach was, er war erloschen. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, das richtige Fahrzeug zu finden? Dieser Gedanke, den wir bislang stets verdrängt hatten, drängte sich nun auf. Sowohl auf einer Skala von 1 bis 1000 wie auch von 1 bis 3 war die Wahrscheinlichkeit irgendwo bei Null. Warum sollten wir uns also noch länger mit Umwegen aufhalten? Unser bekanntes Ziel lag tief im Westen, was aus Herner Sicht „gleich im Süden“ bedeutete. Wir nahmen wieder Kurs auf und unser Schicksal an: Das Paket war weg!

Was wäre aber, wenn das Schicksal das Paket in die Hand nähme und sich ebenfalls auf die Suche machte? Dann wäre es womöglich in dem Paketwagen, der sich uns von hinten näherte und nun direkt hinter uns herfuhr. Sollten wir nicht diese eine Chance noch nutzen, um zumindest im Nachhinein behaupten zu können, man habe alle Möglichkeiten ausgereizt?

Die Jäger des verlorenen Päckchens (Nachgestellte Szene, Foto: M. Coesfeld).

Gekonnt lenkten wir den Dienstwagen auf den Seitenstreifen, um unmittelbar wieder auszuscheren. Nun waren wir die Verfolger, und darin hatten wir inzwischen Übung. Es dauerte rund fünf Minuten bzw. drei innerstädtische Straßenkilometer, bis der Paketwagen zum Stehen kam. Wir hielten direkt hinter dem Fahrzeug und stiegen aus. Zu unserer Erleichterung blickten wir in ein bis dahin unbekanntes Gesicht, das sich uns kauend zuwandte, als wir an die Scheibe der Beifahrertür klopften. Es war inzwischen Mittag.

Um es kurz zu machen: Wir hatten den Richtigen! Das Paket hatten wir dennoch nicht. Inzwischen war unser Mann nämlich in der Paketzentrale gewesen, hatte neue Pakete zur Auslieferung aufgenommen und – zu unserem Entsetzen – die nicht zugestellten zurückgelassen. Unser Paket hatte Herne also bereits verlassen.

Der Zusteller entschuldigte sich und teilte uns mit, erst seit fünf Tagen als solcher zu arbeiten. Darüber hinaus sei er ortsfremd, was für ihn bedeutete, dass er es sich nicht leisten konnte, sich allzu lang mit „schwierigen“ Adressen aufzuhalten. Halten wir uns nicht länger mit Entschuldigungen auf. Es musste gehandelt werden! Unser Paket drohte, noch am selben Tag, womöglich noch in der nächsten Stunde, das Revier für zunächst lange Zeit zu verlassen. Im Gegensatz zum Vormittag, als wir ausschließlich im Nebel stocherten, hatten wir nun eine Spur: Die Paketzentrale. Zu unserem großen Glück lag diese auch noch in Bochum, wohin uns die Dienstfahrt ohnehin führte. Der Zusteller gab uns die Adresse und den Hinweis, dem Pförtner mitzuteilen, er hätte uns geschickt und er solle uns durchlassen. Tief beeindruckt von der Befehlsgewalt über den Pförtner, die sich unser Zusteller in nur fünf Tagen erworben haben muss, verließen wir Herne und tauchten in Bochumer Industriegebiete ab, die nicht einmal auf etablierten Straßenkarten lückenlos erschlossen waren.

Nach rund 15 Minuten Fahrtzeit standen wir vor einer Schranke, die nur dem Pförtner im Häuschen nebenan gehorchte. Wie selbstverständlich gaben wir den Zustellernovizen als Referenz und Türöffner an, um in das scheinbar hochgesicherte Sperrgebiet zu gelangen. Sichtlich überfordert quollen Schweißperlen auf die hohe Stirn des Torwächters. Schließlich galt es abzuwägen, ob er mit einem Knopfdruck womöglich den größten Schub oder Fehler seiner Karriere beging. Wir wiesen darauf hin, dass in weniger als fünf Minuten unser Paket verloren sei. Er drückte den Knopf. Die Schranke hob sich. Wir passierten den Sperrgürtel.

Tage später erfuhren wir, dass es für Personen, die keinen Passierschein besaßen, eigentlich unmöglich war, die Kontrollstation zu überwinden. Uns war es jedoch gelungen, was einen Grund mehr darstellt, diesen Blogbeitrag zu schreiben.

Unser Husarenstück hat damit aber noch nicht seinen dramaturgischen Höhepunkt erreicht. Der befand sich nämlich auf ungefähr gleicher Höhe wie das gewaltige Gebäude, das sich nun vor uns erhob. Es war umstellt von Zustellfahrzeugen. Wie es schien, lag die gesamte Flotte im Heimathafen. Rückblickend haben sich unsere Schätzungen inzwischen auf eine Anzahl im dreistelligen Bereich eingependelt. Uns wurde immer mehr klar, dass wir die Nadel im Heuhaufen entdeckt hatten. Jetzt mussten wir sie nur noch herausziehen. Aber wie?

Triumph! Michael Lagers hält endlich das Päckchen mit überaus wichtigem Inhalt in den Händen! (Nachgestellte Szene, Foto: M. Coesfeld).

Es bedurfte ganze drei Umrundungen, bis wir die kleine Tür entdeckten, die sich – durch die Größenunterschiede getarnt – in der Nordwand des kastenförmigen Bergmassivs wie eine farbliche Unebenheit abzeichnete. Wir fanden auch die Klingel... und den Mut, sie zu drücken. Was dann passierte, lässt sich so zusammenfassen: Wir fanden das Paket!

Wir, die weder einen Passierschein noch sonst irgendwelche Befugnisse besaßen, dort zu sein, wo wir waren, durften die Haupthalle der Paketkathedrale betreten. Gemeinsam mit Mitarbeitern vor Ort rekonstruierten wir den Weg des Frachtguts, bis wir unter Anwendung des Ausschlussprinzips vor einem kleinen Rollwagen standen. Hier liefen alle Handlungsstränge zusammen. Sollte sich unser Paket noch im Revier befinden, dann hier! So war es dann auch. Klein und unscheinbar zeigte es sich inmitten von Paketen, die sich auf ihre Rückreise vorbereiteten.

Erleichterung war in allen Gesichtern zu sehen. Hier und da wurden Freudentränen verdrückt. Wir klopften uns gegenseitig erschöpft auf die Schultern und wussten, dass uns von nun an für immer etwas verbinden würde. Wie eine Trophäe trugen wir das Paket durch ein Spalier applaudierender Logistiker und betteten es in den Dienstwagen. Triumphierend erreichten wir nach einem kleinen Umweg, der das eigentliche Ziel der Dienstreise darstellte, das Museum. Noch immer ungläubig ob der Tatsache, das Paket abgefangen zu haben, versammelten sich alle Kollegen drum herum. Die einzige Sorge, die jetzt noch bestand, galt dem Inhalt. Hatte die Lieferung die Odyssee unbeschadet überstanden?

Welche unglaublichen Wunder verbargen sich im Päckchen?! Michael Lagers, Thomas Bitter und Marcus Coesfeld finden es gerade heraus (Nachgestellte Szene, Foto: LWL).

Ein leichtes Schütteln blieb auskunftslos. Vorsichtig schnitten wir die Klebestreifen auf. Nun konnten wir den Paketdeckel aufklappen. Darunter befand sich Packpapier, welches wir vorsichtig entfernten. Unsere Augen wurden größer. Die Kinnladen fielen langsam aber sicher bis zum Anschlag. Da war es: unser einzigartiges und bislang ungenutztes Vehikel für die öffentlichkeitswirksame Aktion. Es war ein...

(An dieser Stelle muss unser kleiner Blogbeitrag aufgrund einer Schreibblockade des Autors leider abbrechen. Wir werden uns aber bemühen, die Info über den Inhalt des Paketes schnellstmöglich nachzureichen. Bis dahin könnt Ihr selbst ja mal überlegen, was genau sich in dem Paket befunden haben könnte. Wir freuen uns auf Eure Vorschläge und Ideen in den Kommentaren.)

 

Michael Lagers