Schätze der Archäologie Vietnams

06.10.2016

Die Schätze der Archäologie Vietnams (Bild: LWL).

Interview mit dem Chefkurator Andreas Reinecke

Update: Überetzung auf Englisch und Vietnamesisch vom Goethe Institut Vietnam!

Dr. Andreas Reinecke ist der Chefkurator der Sonderausstellung und Referent für Südostasien bei der Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kultur im Deutschen Archäologischen Institut.

 

LWL: Wie haben Sie das doch eher exotische Thema "Archäologie Vietnams" für sich entdeckt? Was reizt Sie so sehr daran?

 

A. Reinecke: Ich habe in den 1970er Jahren den Vietnamkrieg und seine Auswirkungen recht genau verfolgt. Während des Studiums hatte ich zahlreiche ausgesprochen sympathische Kommilitonen aus Vietnam um mich herum, die Geschichte oder „Archivwissenschaften“ studierten. Das alles machte mich neugierig auf die Geschichte des Landes. Außerdem galt Südostasien in den 1970er Jahren als eine Region mit früher Neolithisierung und mit einer besonders frühen Bronzezeit. Das hat sich später zwar nicht bewahrheitet, trotzdem bleibt es bis heute enorm reizvoll, in einer Region mit großen Forschungslücken zu arbeiten, die kulturell so vollkommen anders ist als die europäische Vorgeschichte.

Andreas Reinecke (Foto: Luyen Reinecke).

LWL: In der aktuellen Ausgabe von "Archäologie in Deutschland" erklären Sie, dass kein Land in Südostasien so viele Ausgrabungen durchführt wie Vietnam. Woran liegt das?

 

A. Reinecke: Das liegt zum einen daran, dass archäologische Feldforschung in Vietnam finanziell besser gefördert wird als in den Nachbarländern. Zum anderen gibt es in Vietnam vergleichsweise zu Laos oder Kambodscha mehr archäologisch tätige Personen und in der Archäologie-Ausbildung befindliche Studenten. Es gibt aber noch einen weiteren Grund: Vietnam gehört zu den südostasiatischen Ländern mit der höchsten Bevölkerungsdichte. Gegenüber Laos wohnen beispielsweise zehnmal mehr Menschen auf einem Quadratkilometer.

Der Chefkurator erklärt die Ausstellung (Foto: Katja Burgemeister).

Dazu kommt, dass die seit der Neolithisierung vor 4000 Jahren besonders attraktiven Siedlungsgebiete an den Küstenebenen, in den Delta-Gebieten und entlang der großen Flüsse im Verlauf der letzten 50 Jahre eine enorm dichte Besiedlung und Bebauung erfuhren. Das bedeutet die Zerstörung archäologischer Fundschichten und einen sehr starken Fundanfall. Die großen Entdeckungen der nächsten 30 Jahre sind daher eher in den weitaus weniger dicht besiedelten Hochebenen zu erwarten, die in den letzten 15 Jahren durch den Ausbau der Straßennetze immer besser erreichbar wurden.

Eine Dong-Song-Trommel aus der Ausstellung (Foto: LWL/Binh).

LWL: Wo liegen für Sie wesentliche Unterschiede zwischen deutscher und vietnamesischer Archäologie?

 

A. Reinecke: Die Unterschiede sind vielfältig, aber vielleicht sind die größten Unterschiede auf allen Arbeitsfeldern vorhanden, die nach der Ausgrabung anstehen: die Restaurierung, Analyse, Lagerung und Publikation von Funden. Da muss sich in den nächsten Jahrzehnten in Vietnam enorm viel verändern. Das bedarf in vielerlei Richtung eines Bruchs mit den traditionell üblichen Arbeitsweisen. Insofern liegen die Hoffnungen bei der jungen Generation an Archäologen in Vietnam.

Löwenfigur aus der Ausstellung (Foto: LWL/Binh).

LWL: Sie sind seit 2012 Chefkurator der Ausstellung. Welche Höhen und Tiefen haben Sie dabei erlebt?

 

A. Reinecke: Zu den spannenden Ereignissen der Vorbereitungsjahre gehörte die vom Kulturministerium Vietnams unterstützte Arbeit an über 30 Provinzmuseen. Das war eine einmalige Chance die Magazine, Kollegen und unbekannten Funde kennenzulernen. Zu den „Tiefen“ gehört sicher der Zeitdruck in den letzten acht Monaten, der u.a. durch die komplizierten Verhandlungen um die teilnehmenden Museen, die Ausstellungsobjekte und Transportvarianten entstanden war. Dabei habe ich mir tatsächlich einen Zahn ausgebissen (das ist nicht übertragen gemeint!).

Das Drachensiegel des Kaisers Minh Mang aus Gold (Foto: LWL/Binh).

LWL: Können Sie einmal das Konzept der Ausstellung erläutern? Welches Ziel verfolgen Sie damit?

 

A. Reinecke: Im Gegensatz zu früheren Ausstellungen wollten wir möglichst viel Neues und Unbekanntes zeigen, das ist trotz Einschränkungen gelungen und wird die Forschung beflügeln. Da es in dieser Breite die erste „archäologische Ausstellung“ in Europa ist, waren wir auch bestrebt, nicht irgendeine Facette der Kulturentwicklung zu präsentieren, sondern Beispiele aus möglichst allen Gebieten und Zeitepochen.

Steinzeitliche Jadezepter (Foto: LWL/Binh).

Wir wollten außerdem die wichtigsten Weltkulturerbestätten Vietnams in die Ausstellung integrieren – auch das ist mit My Son und Thang Long realisiert. Schließlich ging es uns um die deutsch-vietnamesischen Forschungsbeziehungen in den letzten 55 Jahren. Das konnte im Katalog besser dargestellt werden als in der Ausstellung selbst. Immerhin haben wir die Geschichte der ersten deutsch-vietnamesischen Grabungsexpedition im Jahr 1964 gut in der Ausstellung verankern können. Dazu kommt die Präsentation einer der bedeutendsten Grabungen des Deutschen Archäologischen Instituts an der bronzezeitlichen Salzsiederei von Go O Chua in Südvietnam. Es ging uns darüber hinaus um Ausstellungsobjekte „mit Seele“, bei denen wir wissen, wie sie entdeckt worden sind, wo, von wem und in welchem Fundkontext. Dadurch bekommen diese Objekte einen Informationswert, der weit über das Einzelobjekt hinausgeht und erlaubt, kleine Geschichten zu erzählen. Das Ziel war unter anderem die archäologische Arbeit in Vietnam insgesamt in den Fokus zu rücken und die weitere Forschung mit neuen Interpretationen und Datierungen auch zu provozieren.

Andreas Reinecke begutachtet archäologische Funde (Foto: Andreas Weisgerber).

LWL: Haben Sie ein Lieblinksobjekt in der Ausstellung?

 

A. Reinecke: Das ist schwer, denn es gibt zahlreiche spannende Objekte: das bronzereichste Grab Südostasiens von Viet Khe gehört dazu. Vor 2200 Jahren wurde ein Segment eines Einbaumes zum Sarg umfunktioniert und mit 90 Bronzen und weiteren Beigaben ausgestattet. 1961 wurde es zufällig mit vier anderen Bootsgräbern in Nordvietnam entdeckt.

In der Archäologie sind es nicht immer die großen, schönen oder wertvollen Objekte, die für Aufregung sorgen und zu „Lieblingsobjekten“ werden. Manchmal sind es unansehnliche Bruchstücke, die sich bei genauer Untersuchung zu wissenschaftlichen „Schätzen“ verwandeln. Davon gibt es einige in der Ausstellung.

Der Besucher darf sich aber auch auf ein über 60 cm langes Nephrit-Zepter aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. oder auf die größte Bronzetrommel der Dong Son-Kultur freuen, die ein Gewicht von etwa 200 kg hat, beides handwerkliche Glanzleistungen.

Andreas Reinecke (rechts) erklärt interessante Erkenntnisse über die Archäologie Vietnams (Foto: Andreas Weisgerber).

LWL: Der Begleitband zur Sonderausstellung ist 600 Seiten dick geworden. Welche Bedeutung messen Sie diesem umfangreichen Werk bei?

 

A. Reinecke: Hinter dem Ausstellungskatalog „versteckt“ sich das erste Handbuch über Archäologie und Geschichte Vietnams in deutscher Sprache. Das wird es sehr wahrscheinlich auch in den nächsten zwanzig Jahren bleiben. Speziell der Objektteil enthält viel Neues, was auch in der vietnamesischen oder englischsprachigen Literatur nicht zu finden ist und spannende Diskussionen in der Zukunft verspricht. 

 

LWL: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Das Interview wurde durchgeführt von Marcus Coesfeld.