Austern und ihre Bedeutung für Westfalen

30.07.2024 Praktikant:in

Mehr, mehr, mehr! Dieser einfache Grundsatz trieb die römische Oberschicht an. In ihrem Verlangen nach mehr Luxus waren sie bereit fast schon absurde Umstände auf sich zu nehmen. Allerdings verlangte nicht nur die Oberschicht nach Luxus. Die Austernschalen belegen, dass auch die am Rhein stationierten Soldaten und römischen Bürger Luxus wollten, da sie dort in Abfallgruben gefunden wurden.

Der Fundort

Die Muschelschalen sind gut erhalten und wurden in Haltern, Kreis Recklinghausen, gefunden. Sie bestehen zu einem großen Teil aus Kalk, der für die Römer von Interesse war. Sie nutzten den Kalk um daraus dentificarum herzustellen, was sie zum Zähneputzen nutzten. Die Muscheln stammen etwa aus dem ersten Jahrzehnt nach Christus. Die heutigen Speiseaustern werden mit einer Größe von 8 bis 14cm angeboten, wobei die Schale eine gräuliche, bräunliche oder grünliche Färbung aufweist. Austern werden in der Archäologie als Indikationsfund angesehen, da sie fast immer auf die Anwesenheit von Römern hinweisen.

Austern in römischen Grenzregionen

Die Austern wurden nicht vor Ort gezüchtet, sondern aus den Küstenregionen importiert. Dafür wird der Mittelmeerraum und besonders Rom als Hauptexporteur vermutet. Das wiederum macht besonders deutlich, wie sehr die Legionäre während ihres Dienstes nach Luxus verlangten. Immerhin sind es von Rom nach Haltern heutzutage etwa 1461km Fußmarsch, was einer Dauer von etwa 335 Stunden zu Fuß entsprechen würde. Dazu muss aber gesagt werden, dass die Menschen damals für solche Strecken länger gebraucht haben, da die Straßen heute viel besser sind als sie es damals waren. Dennoch brachten römische Händler ihre Waren von Rom bis nach Haltern. Dafür nutzten sie neben Wasserwegen auch Landwege. Die Transporte wurden trotz der Entfernung durchgeführt, da die Militärlager meistens Lagervororte entstehen ließen, was zu einer großen Kaufkraft vor Ort führte.
Auch ist davon auszugehen, dass entlang der Transportstrecken Lagerplätze entstanden sind und mit ihnen spezielle Becken, die für die Muscheln als eine Art Erholungsbecken dienen sollten. Immerhin können Muscheln außerhalb des Wassers nur 10-24 Tage überleben. Es fand also ein gewaltiger Aufwand statt, um die Austern als Nahrung nach Westfalen zu bringen.

Aber warum schreibe ich meinen Blogeintrag über Muscheln?

Die Austern sind ein Beispiel dafür, welche Anstrengungen die Römer unternahmen um ihrem Verlangen nach Luxus nachzukommen. Auch sind sie ein Beweis dafür, dass die Römer begannen ein immer größeres Handelsnetz aufzubauen, welches selbst die entferntesten Ecken ihres Reichs versorgte. Jedoch finde ich es besonders bemerkenswert, dass die Römer Vorkehrungen getroffen haben, um die lebenden Muscheln bis nach Haltern zu transportieren, da sie dort unter normalen Umständen nicht genießbar ankommen würden.

Tafelluxus in Rom

In Rom begann die gesellschaftliche Oberschicht sich unteranderem durch ihre Nahrung von der restlichen Bevölkerung abzuheben. Dafür bezogen sie Delikatessen aus den eroberten Provinzen und zahlten hohe Preise für diese. Wichtig war für sie nur, dass die Delikatessen möglichst exotisch und möglichst teuer waren, da sie sich auf diese Art weiter abheben konnten. Um den eigenen Reichtum anschließend mittels der Delikatessen zu zeigen, wurden Feste gefeiert; entweder mit Freunden oder mit Kunden. Dabei sollte die Auswahl der Lebensmittel den sozialen Status unterstreichen. Die Frage, warum die Legionäre aber ausgerechnet Austern genießen wollten lässt sich nur mit Vermutungen beantworten: Die Austern boten den Legionären ein kleines Stück römischer Kultur und Heimatgefühl in dem sonst barbarischen und abgelegenen Germanien.

Wie sind die Muscheln im Museum ausgestellt?

Im LWL - Museum für Archäologie und Kultur in Herne sind die Muscheln mit siebzehn weiteren Vitrinen höhenmäßig Abfallend angeordnet. Vor den Vitrinen steht eine Statue des Augusts. Die Statue ist als ein Fenster in die Welt zu verstehen und soll zeigen, dass Rom zu diesem Zeitpunkt außerhalb von Westfalen die Kaiserzeit begründet. Allerdings steht die Statue auch zur Hälfte im Raum, was wiederum zeigen soll, dass der römische Einfluss sich bis nach Westfalen erstreckt. Verstärkt wird dies durch die Schrittstellung der Statue, welche eine Vorwärtsbewegung zeigt; nach Westfalen. Bei den Vitrinen zeigen die Reihen den zeitlichen Ablauf. Dabei stellen die hintersten Reihen den Einmarsch Roms nach Westfalen dar, wohingegen die vordersten Reihen fast schon den Abzug der Römer darstellen. Die Muscheln beispielsweise wurden, wie bereits erwähnt, in Haltern gefunden und stammen aus dem 1. Jahrzehnt nach Christus. Das Römerlager wurde im Jahr 9. nach Christus nach der Varusschlacht aufgegeben, welche den Rückzug der Römer aus den Gebieten westlich des Rheins einleitete. Die letzte Reihe ist im Gehweg versenkt.

Hendrik Will, Praktikant


Literaturverzeichnis

Höpken, Constanze: Römische Austern aus Bonn und den Limeskastellen Zugmantel, Alteburg-Heftrich und Saalburg.

Meyer, Christian: Antike Austern – Weitere Beispiele für Mainzer Meeresfrüchte, in: Berichte zur Archäologie in Rheinhessen und Umgebung Heft 1/2008, S.52-55.

Patzak, Heidrun: Antike Dinner Party: So wild feierten die Römer wirklich | National Geographic

Rothenhöfer, Peter: Wirtschaft und Handel am unteren Niederrhein, in: Eger, Christoph (Hrsg.): Warenwege – Warenflüsse. Handel, Logistik und Transport am römischen Niederrhein, S. 69-88.

Schimmer, Florian: Unterwegs für das große Geld – Fernhandel der frühen und mittleren Kaiserzeit, in: Schmitz, Dirk; Sieler, Maike (Hrsg.): Überall zu Hause und doch fremd. Römer Unterwegs, S. 92-103.

Stein-Hölkeskamp, Elke: Essen ohne Grenzen – Transfer und Transgression im Imperium Romanum.