Das Doppelschneidige Rasiermesser – Haarpflege vor 3000 Jahren

02.05.2025 Praktikant:in

Abb. 1: Das bronzene doppelschneidige Rasiermesser aus Ahaus- Ammeln. Aus 100 Jahre/ 100 Funde. LWL- Museum für Archäologie und Kultur. Foto: Stefan Brentführer.

Mein Lieblingsobjekt

In der Dauerausstellung in diesem Museum findet man aus 280.000 Jahren Menschheitsgeschichte in Westfalen einiges an interessanten und imposanten Objekten. Häufig liegt beim ersten Besuch die Aufmerksamkeit auf den „großen und außergewöhnlichen“ Ausstellungstücken, wie Statuen, Schwertern oder Rüstungen. Doch die kleinen und unscheinbaren Objekte sagen häufig mehr über unseren Alltag in der Vergangenheit aus. Nach mehrfachem Begehen der Ausstellung mit diesem Gedanken im Kopf, fällt mir ein kleines Bronzeobjekt in einer Sammelvitrine auf. Der Fundort ist meine Heimatstadt Ahaus – oder eher ein kleiner Vorort davon: Ammeln. Häufig ging ich durch diese Gegend mit dem Hund spazieren und mir war nicht bewusst, dass hier zwischen 1840 und 1855 eine Ausgrabung stattfand. Unter anderem fand man ein doppelschneidiges Rasiermesser, welches ich mir genauer angesehen habe. Ein kleines Objekt, was uns aber ein bisschen über das Leben vor knapp 3000 Jahren erzählen kann.

Beschreibung

Das Rasiermesser ist auf 1000 v. Chr. datiert und besteht aus gegossener Bronze. Es ist 13,1 cm lang, das Blatt der Klinge ist 5,7 cm und der Griff 2,4 cm breit. Archäologen fanden zwei weitere sehr ähnliche Rasiermesser in Westfalen, die aufgrund der identischen Griffgestaltung einem Typus zugeordnet werden konnten. Bei dem Fund in Eschborn wurden noch einige andere Gegenstände gefunden, die uns eine Datierung ermöglichen und dadurch auch diesem Typus seinen Namen gaben, Eschborn.

Am Ende des Griffes befindet sich ein 2,1 cm großer Ring mit dem sich das Messer an Kleider oder Gürtel anbringen ließ.

Die Blattschneide ist mit einer Stärke von 0,07 cm extrem dünn und deutet an, wie viel Erfahrung die Menschen im Bereich des Bronzegusses hatten.

Das Messer ist vollständig von einer Patina überzogen, dieser grüne Überzug bildet sich unter Einfluss von Feuchtigkeit und Luft auf Kupfer.

Herstellung

Die Produktion des Rasiermessers geschieht ohne größere Schmiedearbeiten, da es in einer Gussform entsteht. Hierbei gießt der Schmied die flüssige Bronze in eine zweiteilige Steinform und lässt sie aushärten. Nach dem Aushärten werden die Gussnähte entfernt und es muss geschärft werden. Dies geschieht entweder durch einen Schleifstein oder es wird mit einem feinen Hammer die Schneide ausgehämmert (Dengeln).

Im Gegensatz zu vielen anderen Funde von Rasiermessern ist es nicht verziert, siehe hierzu den Blogeintrag „Schiff ahoi“ für ein reich verziertes einschneidiges Rasiermesser oder vor Ort im Museum.

Der Zustand der Klinge ist nicht mehr einwandfrei, die Blattschneide ist beschädigt und es sind sogar Teile abgebrochen. Der Griff hingegen ist in deutlich besserem Zustand, was zur Zuordnung sehr hilfreich ist.

Seinen Ursprung hatte das doppelschneidige Rasiermesser wohl im Süden, da man dort deutlich mehr und ältere Funde vorzuweisen hat. Eine andere Möglichkeit ist, dass es in Westfalen hergestellt wurde, aber den Süddeutschen Messern nachempfunden ist.

Zeichnung des Rasiermessers aus Ahaus- Ammeln. Aus: Klaus Ludwig Voss, Die Vor- und Frühgeschichte des Kreises Ahaus. Tafel 20. Zeichner Klaus Ludwig Voss.

Fundgeschichte und Kontext

Das Rasiermesser wurde sehr wahrscheinlich in einem Gräberfeld gefunden, es soll laut dem Ausgrabungsleiter Vikar Engelbert Hüsing „auf einer langen, schmalen Reihe verscharrter Gebeine“ gelegen haben.

Das Ausgrabungsjahr liegt zwischen 1840 und 1855, was das Rasiermesser zu dem frühesten Fund aus „100 Jahre/ 100 Funde“ macht. Zu dieser Zeit stand die Archäologie noch am Anfang der Forschungsgeschichte und die Katalogisierung von Funden und die Beschreibung waren ungenau. Hüsings Beschreibung war allerdings so gut, dass man es 100 Jahre später genau identifizieren konnte. Obwohl Hüsing es anfangs noch für ein Schwertende oder eine „Schmucksache“ gehalten hat.

Wo genau im Grab Messer platziert wurden, ist unterschiedlich. So fand man sie beim Kopf, vor dem Gesicht, am Kiefer, auf der Brust, an der Hüfte, bei den Beinen oder bei den Füßen.

Durch die vielen Funde in gutem Kontext, das heißt mit gut zu datierenden Funden in der Nähe, lässt es sich als Rasiermesser benennen. Es ließen sich zum Teil Haarreste an Klingen nachweisen und die häufigen Funde in der Nähe von Pinzetten und Schleifsteinen sind eindeutige Beweise.

Bei vielen Messern, so auch bei diesem, wurden Reparaturspuren gefunden. Genauso wie der schlechte Zustand, der häufig nicht auf die Erhaltungsbedingungen in der Erde zurückzuführen ist, zeugt es davon, dass die Rasiermesser lange in Gebrauch waren. Ab und zu zerstörte man sie sogar bevor man sie als Beigabe in ein Grab legte, um ihren weiteren Gebrauch zu verhindern.

Die Bedeutung dieser Rasiermesser als religiöser oder sozialer Gegenstand ist schwer zu bemessen. So prominent wie es in einigen Gräbern aufgefunden wurde, könnte es an die soziale und kultische Bedeutung von beigegebenen Schwertern herankommen.

Im Laufe der Zeit wird das doppelschneidige Rasiermesser von einer einschneidigen Variante abgelöst, die Gründe dafür wissen wir nicht. Die von Hans Drescher, Experte für historische Metallverarbeitung, durchgeführten Versuche mit Doppel- und Einschneidigen Rasiermesser können uns aber Hinweise geben. Das Doppelmesser war zwar praktisch für die Rasur von Hals- und Nackenpartien, bei der Vollrasur ging es mit der einschneidigen Variante aber besser. Am leichtesten ging die Rasur bei einem mehrere Tage alten Bart, den man vorher mit Wasser einweichte. Dies lässt vermuten, dass man sich wohl nicht täglich rasiert hat.

Seit der zwischen 1840 und 1855 stattgefundenen Ausgrabung wurde der Bereich durch Bauprojekte und Kultivierungsmaßnahmen vollständig zerstört. Spätere Grabungen konnten nur noch kleine Keramikfunde vorweisen.

Aus: Albrecht Jockenhövel, Die Rasiermesser in Westeuropa, Tafel 48. Zeichner Albrecht Jockenhövel.

In der Ausstellung

Das doppelschneidige Rasiermesser ist hier im Museum in einer Sammelvitrine mit anderen Rasiermessern und Pinzetten zu finden. Seit dem Umzug des LWL- Museums von Münster nach Herne im Jahr 2003 findet man es hier.

In vielen Kulturen wurden Grabbeigaben mitgegeben, die dem Verstorbenen auch nach dem Tod noch nützlich sein sollten oder aber seinen sozialen Status zu Lebzeiten auch im Jenseits bezeugen.

Ganz in der Nähe finden wir den Kubus mit den Überresten der Brandbestattung einer jungen Frau, das Verbrennen der Toten ersetzte zu dieser Zeit die Körperbestattungen.

Ein paar Meter zuvor vorher finden wir eine Vitrine mit Axtköpfen aus Felsgestein, die zur gleichen Zeit oder etwas später geschaffen wurden. Obwohl das Gießen von Bronze schon mit solcher Präzision möglich war, benutzte man immer noch Material wie Stein, um Werkzeuge herzustellen. Dies liegt daran, dass Bronze deutlich teurer war. In der Dauerausstellung finden wir auch Steinäxte mit gefälschten Gussnähten, die sollte den Stein wirken lassen, als wäre er genau wie Bronze in einer Form gegossen worden.

An der Wand hinter der Sammelvitrine finden wir den späteren Nachfolger: Das einschneidige Rasiermesser mit Schiffverzierung in einer Einzelvitrine.

Unter folgendem Link finden sie ein 3D Model des Rasiermessers:

https://skfb.ly/oBBOF

 

Nils Richters (Praktikant)


Literaturverzeichnis

Hans Aschemeyer, Die Gräber der jüngeren Bronzezeit im westlichen Westfalen. Bodenaltertümer Westfalens 9 (Münster 1966).

Daniel Bérenger, Nachgeahmt: Jungbronzezeitliche Rasiermesser aus Westfalen. In: Daniel Bérenger/Christoph Grünewald (Hrsg.), Westfalen in der Bronzezeit (Münster 2008).

Albrecht Jockenhövel, Die Rasiermesser in Westeuropa. Prähistorische Bronzefunde, Abt. VIII, Band 3 (München 1980).

Albrecht Jockenhövel, Die Rasiermesser in Mitteleuropa. Prähistorische Bronzefunde, Abt. VIII, Band 1 (München 1971).

Birgit Mecke, Ein Rasiermesser der Spätbronzezeit aus Westerkappeln »Im Paradies/Brennesch«. Archäologie in Westfalen-Lippe 2009, (Langenweißbach 2010).

Klaus Ludwig Voss, Die Vor- und Frühgeschichte des Kreises Ahaus. Bodenaltertümer Westfalens 10 (Münster 1967).

Kurt Tackenberg, Die jüngere Bronzezeit in Nordwestdeutschland (Hildesheim 1971).

Beate Herring, Die Gräber der frühen bis mittleren Bronzezeit in Westfalen (Mainz 2009).

LWL- Archäologie für Westfalen, 100 Jahre/ 100 Funde – Das Jubiläum der amtlichen Bodendenkmalpflege in Westfalen- Lippe (Darmstadt 2020).