Eiszeit-Hamburger zu Besuch in Eiszeit-Herne

11.11.2016

25.000 v. Chr.: Hamburger Touristen schauen sich in Herne den Mammutfaustkeil von Rhede an (Comic von Bent Jensen).

Eine klassisch-archäologische Geschichte der Zeit

Durch die aktuelle Ausstellung „EisZeiten – Die Kunst der Mammutjäger“ (#EisZeitenHH) im Archäologischen Museum Hamburg habe ich als klassischer Archäologe, dessen zeitlicher Horizont für gewöhnlich nicht über 2000 v. Chr. hinausreicht, einiges gelernt. Sozusagen eben jenen Horizont erweitert. In der Sonderausstellung werden Objekte präsentiert, die während der letzten großen Eiszeit, also vor knapp 30.000 bis 10.000 Jahren, geschaffen wurden und einen winzigen Blick auf das Leben der Menschen dieser Zeit ermöglichen. Einen großen Bereich nehmen dabei die Frauenfiguren ein (Also räumlich. In der Ausstellung. Vielleicht aber auch im Leben der eiszeitlichen Menschen.), die immer wieder in verschiedenen Varianten die ganze Eiszeit hindurch zu finden sind. Die Damen in Hamburg sind vor allem auch deswegen sehenswert, weil die etwa 20 Exemplare zum ersten und vielleicht letzten Mal außerhalb ihres Aufbewahrungsortes in St. Petersburg zu sehen sind.

Wie dem auch sei, das Spektakulärste und zugleich am wenigsten Vorstellbare ist für mich das unheimlich hohe Alter der ausgestellten Objekte. Während die ersten Griechen krude Kunstwerke schufen, waren die eiszeitlichen Artefakte bereits über 10.000 Jahre alt. Zehntausend Jahre! Und handwerklich hervorragend gefertigt. Die ältesten Stücke sind sogar 40.000 Jahre alt. Von den Anfängen der klassisch-griechischen Kunst bis heute sind nur 3000 Jahre vergangen.

Um das Ganze noch mal in ein Verhältnis zu setzen, habe ich überlegt, wie es wohl gewesen wäre, wenn der Homo Sapiens auf Neandertaler-Artefakte gestoßen und diese zeitlich einzuordnen in der Lage gewesen wäre. Mit Sicherheit genau so.

Der Faustkeil aus Mammutknochen im Original. Er ist bislang einmalig in Mitteleuropa. Denn Neandertaler haben ihn nicht aus Stein, sondern aus dem Oberschenkelknochen eines Mammuts hergestellt (Foto: Michael Lagers).

Der hier von mir höchst detailliert wiedergegebene Mammutknochen-Faustkeil aus Rhede (Kreis Borken, NRW), der sich heute im LWL-Museum für Archäologie befindet, ist wahrscheinlich etwa 60.000 Jahre alt, womöglich sogar viel älter. Das bedeutet also – um das mir als klassischem Archäologen noch mal klar zu machen – der Faustkeil ist vermutlich doppelt so alt wie die typischen Frauenfiguren der letzten Eiszeit.

Während ich so darüber staune, kann man sich fragen, ob sich unsere Vorfahren überhaupt für ihre Vorfahren interessiert haben. Wahrscheinlich gab es so etwas wie einen Ahnenkult, aber welche Zeiträume sich die prähistorischen Menschen vorstellen konnten, ist für uns heute nicht mehr nachzuvollziehen. Es kann genauso gut sein, dass sie Neandertaler-Hinterlassenschaften als wertlosen Müll angesehen haben – wenn sie ihn überhaupt erkannt hätten. Im Prinzip wie bei vielen Menschen heute. Inklusive mir vor ein paar Jahren. Und wie hat sich meine Sicht geändert? Richtig, indem ich ins Museum gegangen bin! Also machen Sie das auch, geneigter Leser! Am besten in Hamburg und Herne! Jetzt gleich!

 

Bent Jensen, Archäologisches Museum Hamburg

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