Modell einer sächsischen Siedlung bei Warendorf

15.11.2024 Praktikant:in

Heute möchte ich Ihnen von einer rekonstruierten sächsischen Siedlung bei Warendorf-Neuwarendorf erzählen. Die Rekonstruktion ist Teil der Dauerausstellung im LWL- Museum für Archäologie und Kultur und zeigt das interessante Leben im Frühmittelalter, in das wir heute eintauchen werden. Wir werden herausfinden: Wie war das Leben in dieser Siedlung, welche Gebäude gab es und wofür wurden sie genutzt? Außerdem tauchen wir in die Geschichte der Sachsen ein.

Information

In den Jahren 1951-1954 wurden von Mitarbeitenden des Westfälischen Landesmuseums für Vor- und Frühgeschichte Münster und dem Archäologen Wilhelm Winkelmann in Warendorf-Neuwarendorf etwa 26.000 qm freigelegt und große Teile einer frühmittelalterlichen Siedlung des 7. und 8. Jahrhunderts ausgegraben. Die Siedlung lag am Südufer der Ems, ca. 3 km westlich der heutigen Stadt Warendorf. Ursprünglich waren die Ausgrabungen Teil der Sandgrube, wo die Hartsteinwerke standen. Wegen der Suche nach archäologischen Funden wurden die Grabungsflächen bis 1954 händisch mit Schaufeln abgeräumt. Danach, inzwischen waren die Funde der alten Kulturschicht gesichert, wurden Räummaschinen eingesetzt. Alle Funde und archäologischen Artefakte deuten darauf hin, dass die ausgegrabene Siedlung vom 7. bis 9. Jahrhundert bewohnt war. Als Ergebnis der Ausgrabungen wurde festgestellt, dass im Laufe der Nutzungsdauer die Siedlung auf derselben Fläche vier- bis fünfmal neu gebaut wurde – vermutlich, weil Bauten durch Feuer oder natürlichen Fäulnisprozess der in der Erde eingelassenen Pfosten zerstört wurden. Aufgrund dieser Tatsache zeigen die Pläne viele Häuser, die sich überlagern. Um die einzelnen Bauphasen besser unterscheiden zu können, werden sie in unterschiedlichen Farben dargestellt.

„Christian Conversion of the Saxons“, Alphonse de Neuville (1835-1885), wikimedia commons

Kontext

Wer waren die Sachsen?

Leider hat sich bis zum 9. Jahrhundert kein einziges schriftliches Dokument von den Sachsen erhalten oder wurde gefunden, daher müssen wir ihr Leben durch den Blickwinkel der Römer und Franken betrachten und versuchen, durch logisches, objektives Denken die Wahrheit über diese Stammesgemeinschaft zu offenbaren.

„Die Frage, die wir zu klären suchten – wer waren die Sachsen? –, wurde nie abschließend beantwortet. Sächsische Identität: Das ist ein soziales Konstrukt, das jede Generation neu erschuf.“ Will Huntley und Babette Ludowici, O Saxones.

Für die Römer waren alle Sachsen unzivilisierte Bewohner des Nordens. In der Realität dürfte es sich um patriarchalisch organisierte Stämme gehandelt haben. Sie waren wohl gute Seefahrer, was sie durch regelmäßige Raubüberfälle mit Booten bewiesen. Aber wenn die römischen Schriftsteller den Begriff „Sachsen“ für die Piraten auf der Nordsee benutzten, müssen wir verstehen, dass die Römer ihn verwendeten, um alle möglichen Gruppen zu bezeichnen. Das konnten zum Beispiel auch Angeln, Franken oder ein bunter Mix daraus sein. Im Zeitraum zwischen 750 und 900, in dem die Siedlungen bei Warendorf bestand, fanden gewaltige Umbrüche statt: Karl der Große, König des Fränkischen Reichs, eroberte mit diversen Feldzügen (Sachsenkriege) das gesamte Gebiet und machte es zum Bestandteil des Fränkischen Reichs. Aus einer zuvor politisch zersplitterten Region entstand ein einheitlich verwaltetes Gebiet, aufbauend auf römischen Traditionen und mit christlichen Strukturen.

 

„Kaiser Karl der Große“, Albrecht Dürer (1471-1528), wikimedia commons

Die Siedlung, die wir uns heute ansehen, war an einer Furt gelegen, die wahrscheinlich zu einer alten Nord-Süd-Fernstraße gehörte und die schon im frühen Mittelalter als Heer- und Handelsstraße bedeutsam war. Es war nicht die ärmste Siedlung, aber bei weitem auch nicht die reichste. Durch die Untersuchung wurde außerdem klar, dass sie eine agrokulturelle und überhaupt keine kriegerische Siedlung war.

In der Regel haben sich menschlichen Siedlungen immer in der Nähe des Wassers gebildet. Wie A. Stieren schon im Bericht über die Ausgrabung von Westick formulierte: „[…] dass frühgeschichtliche Siedlungen sich mit Vorliebe die Terrassen von Bach- und Flussläufen aussuchen; Hochwasserfreiheit und Wassernähe sind dabei scheinbar ausschlaggebend für die Auswahl gewesen.“

Wilhelm Winkelmann, Beitrage zur Frühgeschichte Westfalens, 1984, Beilage 2

Ausgrabung

Nun aber zur Ausgrabung. Anlass zur Grabung gaben Scherbenfunde und Beobachtungen, die von den Arbeitern des Hartsteinwerkes Warendorf in einer Sandgrube an der Ems gesammelt und an den zuständigen Ortheimatpfleger Dr. Rohleder weitergeleitet wurden. Dr. Rohleder ist eine sehr bekannte Person in Warendorf. Er hat viele neue Sachen zum Schulsystem in Warendorf vorgeschlagen. 1916 hatte er frn Westfälischen Heimatbund mitgegründet und 1951 wesentlichen Anteil an der Gestaltung des 750-jährigen Stadtjubiläums der Stadt Warendorf. Die damals von ihm zusammengestellte und herausgegebene Festschrift wurde für Lehrer und Schüler ein wichtiger Leitfaden zur Erforschung der Warendorfer Geschichte. Dr. Rohleders wissenschaftliche Auswertung des Sachsendorfes am Hohen Ufer der Ems in Neuwarendorf war von überregionaler Bedeutung. Aber zurück zu der Ausgrabung. Als Ergebnis von mehreren Grabungskampagnen wurden 26.000 qm ausgegraben und viele Pfostenspuren gefunden, deren Bedeutung frühzeitig erkannt wurde. In langer Arbeit wurden insgesamt 186 Bauten verschiedener Verwendungszwecke und Konstruktionen rekonstruiert.

Liste der Gebäudefunde:

25 großen, ebenerdige Wohnhäuser von 14-29 m Länge und 4,50-7m Breite

40 kleineren Gebäude von 4-11 m Länge und 3-3,50 m Breite

70 Grubenhäuser

25 sechseckige Speicher mit mittlerem Durchmesser von 6 m

20 leichtere Bauten mit Spundbohlenwänden

3 achteckige Grundrisse

3 runde Gehege aus einzelnen Pfosten

Die bei allen Grabungen nachgewiesenen, ebenerdigen Gebäude lassen sich anhand ihrer Grundrissformen in zwei Gruppen unterteilen. Die erste sind ebenerdige Bauten mit rechteckiger Grundfläche und stellen Speichergebäude dar. Ein Großteil der Gebäude der Siedlung bei Warendorf war einschiffig, das heißt ohne dachstützende Pfosten im Inneren des Hauses. Auch waren alle Gebäude einstöckig, da zwei oder mehrstöckige Häuser damals kompliziert und teuer waren. Zu dieser Zeit wurden fast alle Häuser in Westosteuropa nach diesem Prinzip hergestellt: Die Dächer sämtlicher Gebäude der Hofanlange waren mit Stroh oder Ried gedeckt, die Wände bestanden entweder aus lehmverputztem Rutengeflecht oder aus miteinander verzahnten Holzbohlen

Übersichtplan

Das Grabungsfeld liegt auf einer Südterrasse der Ems. Der Boden dieses Ortes besteht aus feinen bis feinst körnigen Sanden. Eine intakte Kulturschicht war im Allgemeinen nicht erhalten, sie war durch alten vermutlich sofort nach der Zerstörung der Siedlung begonnenen Ackerbau gestört. Auf einem Plan können Sie mehrere von doppelten Pfostenreihen gebildete große Anlagen sehen, die alle in Ostwestrichtung angelegt sind. Eine Tatsache, die für nahezu alle bekannten Großbauten der Frühgeschichte zutrifft.

„Man versuchte damit wohl – wie allgemein angenommen – den vorherrschenden Westwinden eine möglichst geringe Angriffsfläche zu bieten.“ W. Winkelmann

Die Siedlung war von einem 130 m langen Zaun umgeben, aber der Zaun hatte keine wehrhafte Bedeutung und sollte die Siedlung lediglich vor Vieh- und Wildschäden schützen.

Die kleineren Anlagen

Die kleineren Gebäude von 4 bis 11 m Länge sind als Wohngebäude oder als Wirtschaftsgebäude zu bezeichnen, weil man im Inneren Feuerstellen fand, andere einfache rechteckige Gebäude mit einzeiligen Pfostenreihen zählen zu den Wirtschaftsgebäuden, weil man dort keine Feuerstellen fand. Ein besonderer Pfostengebäudetyp sind sechs- und achteckige Grundrisse, mit einem Pfosten in jeder Ecke und einem Mittelpfosten. Sie können als Speicher bestimmt werden. Die kleinsten Grundrisse sind die eingetieften Gruben von 2,50 x 3 m Größe, mit 6, 8 oder 10 Pfosten, mit Herd oder besonderen Pfostensetzungen oder ohne solche. In kleineren Anlagen mit Feuerstelle haben vermutlich Bedienstete und die unteren Schichten der Gesellschaft gewohnt. In den Gebäuden ohne Feuerstelle wurden verschiedene Handwerke betrieben oder sie wurde als Speicher verwendet.

Die Wohnhäuser

Die Grundrisse der großen Bauten weisen eine doppelte Pfostenreihe auf. Ihre rechteckige Fläche ist 14 bis 29 m lang und 4,50 bis 7 m breit. Ein interessantes Phänomen ist, dass die alten Gebäude in Form von Rechtecken gebaut wurden, aber nach Zerstörung der alten Häuser die neuen Häuser nach außen gewölbte Wände hatten. Durch diese Konstruktion hatten die Bauten die Form eines Schiffes. Der Herd liegt im Ostteil des Hauses. Er war gebaut aus Steinen, Lehmbrocken und manchmal Pfosten. In diesen großen Wohnhäusern wohnten vermutlich eher wohlhabende Menschen und ihre Nutztiere.

Prof. Wilhelm Winkelmann, ab 1944 Archäologe im Westfälischen Landesmuseum für Vor- und Frühgeschichte, anschließend Grabungsleiter © LWL-Medienzentrum für Westfalen

Die Bedeutung

Ich habe das Modell der Siedlung bei Warendorf als mein Lieblingsobjekt gewählt, weil es uns zeigt, wie das alltägliche Leben jener Jahre war, wie einfach alles war, aber auf der anderen Seite auch schwierig. Und ich glaube, dass niemand die Bedeutung der Ausgrabungen in Warendorf besser erklären kann, als der Archäologe, der sie ausgegraben hat:

„Die Grabungsergebnisse eröffnen für die Haus- und Siedlungskunde des nordwesteuropäischen Raumes neue Perspektiven, liefern mit ihrem reichhaltigen, stratigraphisch gesicherten archäologischen Fundmaterial besonders für die Gliederung der Keramik jener Zeit neue Unterlagen und bringen zur historischen Diskussion der Dark Ages neues archäologisches Quellenmaterial, das die Erkenntnis bedeutungsvoller historischer Vorgänge wesentlich fördert.“  Gesammelte Aufsätze von Wilhelm Winkelmann.

Arseni Ulmann, Praktikant


Literaturliste:

- Wilhelm Winkelmann. Beiträge zur Frühgeschichte Westfalens Münster 1984

- O Saxones. Herausgegeben von Babette Ludowici. Hannover 2019

- Frick-Lemmer, Gundi. Alltagsleben der Sachsen. Münster 1985

- Die Grabung von Warendorf-Neuwarendorf und Warendorf-Velsen. Ein kleinräumiges, mittelalterliches Siedlungsgefüge  links und rechts der Ems. Kai Bulka. Bochum 2007.