Der Puppenkopf aus dem Bombenschutt

17.06.2016

Foto: Michael Lagers

Mein Lieblingsobjekt

Bei meiner Suche nach einem besonders interessanten Objekt bin ich instinktiv in den Ausstellungsbereich zum Zweitem Weltkrieg gegangen. Ich bin Französin und die gemeinsame Geschichte Deutschlands und Frankreichs interessiert mich besonders. Als ich diesen Puppenkopf in der Ausstellung gesehen habe, bekam ich zunächst eine Gänsehaut. Danach überkam mich ein Gefühl von Traurigkeit, weil mir klar wurde, dass dieser Puppenkopf einmal einem Kind gehört hat. Diese Puppe war einmal der enge Vertraute, der beste Freund, vielleicht auch manchmal der Sündenbock für ein kleines Kind.

Das Exponat stammt aus Münster und ist unter Bombenschutt von 1944 geborgen worden. Denke ich an das, was ich über jene Zeit gelernt habe, laufen schwarz-weiße Bilder der nationalsozialistischen Terrorherrschaft, des Krieges und der Massenmorde vor meinem geistigen Auge ab. Welchen unglaublichen Schaden dieser brutale Krieg verursacht hat!

Dieser kleine, kaputte Puppenkopf steht für all das und kann uns als Beobachter deshalb nicht gleichgültig lassen. Ich frage mich, was wohl das Kind, dem diese Puppe gehört hat, erlebt haben mag.

Foto: Lorine Moulharat--Sansorgné

Vielleicht hat es den Bombeneinschlag und den Krieg überlebt, aber welches Leben hat es nach den Kriegserlebnissen geführt? Welche Auswirkungen haben solche Erfahrungen auf sein weiteres Leben gehabt? Vielleicht aber hat es – das wäre die zweite traurige Möglichkeit – nicht überlebt und lag ebenfalls in den Trümmern begraben. Ich habe mir die letzten Augenblicke vorgestellt, die es mit seiner Puppe hat verbringen können.

Der Krieg  – egal ob ein vergangener oder noch gegenwärtiger – bringt immer unglaubliche Gräueltaten mit sich. Dieses Kind aus Münster war nur ein Opfer des Krieges – und zwar eines von sehr vielen. Und doch bringt gerade sein Schicksal mich dazu, mich zu fragen, was die Menschen dazu treibt, Krieg zu führen und massenhaft ganze Bevölkerungsgruppen auszulöschen. Was für die Menschen als Ganzes gilt, gilt auch für einzelne Menschen: Sie können ebenso gut wie schlecht handeln. Alles hängt vom Weg ab, den man zu gehen beschließt.

Und so bringt mich ein kleiner Puppenkopf  zum Nachdenken über grundsätzliche Dinge des menschlichen Miteinanders.

 

Lorine Moulharat--Sansorgné, Praktikantin (mit Formulierungshilfe von Marcus Coesfeld)