Ein verwittertes Stück Metall – alles andere als langweilig

29.06.2018

Im LWL-Museum für Archäologie: Schwertförmige Eisenbarren aus dem Siegerland. (Bild: Vincent Niestlé)

Fundvorstellung – schwertförmige Eisenbarren

Wer schenkt schon einem kruden Stück Abfall wie einem eisenzeitlichen Barren Beachtung, wenn man direkt nebenan gewaltige neolithische Megalithgräber, formvollendete römische Statuen oder prächtigen mittelalterlichen Schmuck bestaunen kann? Optisch unattraktive Stücke wie die siegerländer Eisenbarren scheinen zu einem Schattendasein im Museum verdammt zu sein. Bei genauerer Betrachtung entfesseln aber gerade derartige „zweitklassige“ Fundstücke einen Reiz, der den musealen Aushängeschildern in nichts nachsteht, ermöglichen sie doch einen unglaublich lebendigen und tiefgehenden Einblick in die Lebenswirklichkeit vergangener Zeiten und wecken tiefen Respekt vor den erstaunlichen Leistungen der Menschen der Vergangenheit. Dass selbst solche vermeintlich banalen Stücke unschätzbare Horte des Wissens darstellen, macht die Beschäftigung mit der menschlichen (Früh)Geschichte in meinen Augen so reizvoll. Ich würde mich freuen, wenn mein Blogbeitrag zukünftigen Museumsbesuchern den Blick schärfen und Auslöser für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Materie sein mag. Denn als Student der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie faszinieren mich gerade diese alltäglichen, praktischen Erzeugnisse der menschlichen Vergangenheit, über die wir trotz immer weiter steigendem Forschungsstand immer noch so wenig wissen. 

Innovationsstoff Eisen

Die Eisenzeit (in Deutschland ca. 800-15 v. Chr.) bezeichnet eine Epoche der Menschheitsgeschichte, welche erstmals maßgeblich durch die Verwendung eines Rohstoffes geprägt wurde, der aus unserer heutigen Welt nicht mehr wegzudenken ist – dem Eisen. Neue Techniken des Gewinnungs- und Verarbeitungsvorganges ermöglichten erstmals die großräumige Nutzung des weit verbreiteten Eisenerzes. Dieses war weitaus leichter zugänglich als Bronze, zu deren Herstellung man neben Kupfer auch auf seltene Zinnvorkommen angewiesen war. Die enorme Härte und Stabilität des Eisens im verarbeiteten Zustand bei gleichzeitiger Formbarkeit führte schließlich dazu, dass es die Bronze als metallischen „Universalwerkstoff“ ablöste und bis in die Gegenwart entscheidende Grundlage unserer materiellen Kultur ist.

Die Eisenbarren in der charakteristischen Schwertform, wie sie in der Dauerausstellung zu sehen sind, bezeugen dabei die enorme Bedeutung dieses „neuen“ Rohstoffes. Ihre Form war für das südwestfälische Siegerland zur Zeit der mittleren und späten vorrömischen Eisenzeit typisch. Schließlich sind sie Zeugnisse einer Wirtschaftsregion, die in ihrer umfassenden Spezialisierung auf Gewinnung, Verhüttung und Weiterverarbeitung von Eisenprodukten nahezu industriell anmutende Ausmaße erreichte.

Übersichtskarte Eisenzeitliche archäologische Kulturen. Abbildung aus: Sicherl, Bernhard: Zur kulturellen Gliederung Westfalens in der späten Eisenzeit. In: Gaffrey, Jürgen / Cichy, Eva / Zeiler, Manuel: Westfalen in der Eisenzeit. Münster 2015, 35.

Westfalen in der späten vorrömischen Eisenzeit

In der späteren vorrömischen Eisenzeit in Deutschland sind zwei große archäologische Kulturgruppen von besonderer Bedeutung: zum einen die sogenannte Latènekultur, welche bis zu ihrer Verdrängung durch die Römer um 15 v. Chr. für rund vier Jahrhunderte den süd- und mitteldeutschen Raum dominierte, zum anderen die sogenannte Jastorfkultur, die in erster Linie in Nord- und Ostdeutschland ansässig war. Die Latènekultur wird dabei in der Forschung häufig mit den historisch überlieferten Kelten, die Jastorfkultur mit den Germanen in Verbindung gebracht, wobei diese Zuweisung im Detail sehr problematisch ist.

Das Gebiet des heutigen Westfalen stellt in diesem Kontext gewissermaßen eine Kontaktzone verschiedener lokaler Gruppen dar. Im Siegerland – dem Herkunftsgebiet der im Museum ausgestellten Eisenbarren – bildete sich ab dem 6. Jh. v. Chr. eine in hohem Maße auf die Eisenproduktion spezialisierte Besiedlung heraus. Womöglich geht diese auch auf Initiativen des südöstlich gelegenen Oppidum vom Dünsberg zurück.

Eisenproduktion im Siegerland

Dieser bis dahin im wesentlichen unerschlossene Raum war insbesondere durch die klimatischen Voraussetzungen in der Mittelgebirgszone für klassische bäuerliche Siedlungen ungünstig. Er bot aber in großen Mengen die zwei wichtigsten Ressourcen für die Herstellung von Eisen: Eisenerz, welches häufig oberflächennah anstand und so einen leichten Abbau möglich machte, außerdem Holz, das in Massen bei der Eisenproduktion als Energieträger benötigt wurde und im Zeitalter der Nutzung fossiler Brennstoffe als solcher beinahe in Vergessenheit geraten ist.

Der lange Weg vom Erz bis zum fertigen Produkt

Damit aus dem Rohstoff Eisenerz fertige Endprodukte wie Werkzeuge, Waffen und Gebrauchsgegenstände wurden, war ein komplexes, viele Arbeitsschritte umfassendes System von Weiterverarbeitungsprozessen erforderlich. Zunächst musste das Rohmaterial beschafft werden: Das Eisenerz musste aus seinen Ablagerungsstätten gewonnen werden, wozu im Laufe der Zeit auch die Förderung unter Tage notwendig wurde. Holz musste in riesigen Mengen nach Qualität ausgewählt, geschlagen und als Brennmaterial vorbereitet werden. Vermutlich wurde es dazu in Meilern zum deutlich hochwertigeren Energieträger Holzkohle umgewandelt; im Siegerland gibt es hierfür jedoch bisher keine archäologischen Belege.

Um das im Eisenerz vorhandene Eisen zu extrahieren, wurde anschließend der Vorgang der Verhüttung notwendig. Hierfür wurde das Erz auf über 1000 °C erhitzt. Das darin enthaltene Eisen wurde zähflüssig, löste sich von unerwünschten Verunreinigungen und rann schließlich durch bzw. aus dem Ofen heraus – daher der Name „Rennfeuerverfahren“. Bis zur Erfindung moderner Hochöfen war dies die gebräuchliche Form der Eisengewinnung.         

Rekonstruktion eines Siegerländer Kuppelofens. Aus: Garner, Jennifer: Eisengewinnung im Siegerland. In: Gaffrey, Jürgen / Cichy, Eva / Zeiler, Manuel: Westfalen in der Eisenzeit. Münster 2015, 132.

Was in der Theorie einfach klingt, erforderte in der Praxis enormes technisches Know-how. Erst kürzlich zeigte das ein experimentalarchäologischer Versuch eindrucksvoll. Dies begann schon beim Bau der Öfen, welche im Siegerland im Gegensatz zu den zeitgleich weit verbreiteten Schachtöfen enorme kuppelförmige Anlagen darstellten, die häufig als ganze Kolonnen betrieben wurden.

Der Verhüttungsprozess selbst erforderte den Aufbau und die Beibehaltung einer hohen, gleichmäßigen Temperatur über viele Stunden hinweg, sollte er Erfolg haben – eine technologische Meisterleistung, zu der nur erfahrene Spezialisten in der Lage waren. Denn diese mussten viele kleine Details z. B. hinsichtlich der Glühfarbe der Beschickung, dem Zustand des Ofens und der Menge des Brennmaterials genau beobachten, deuten und angemessen handeln. 

Hatte der Verhüttungsvorgang schließlich Erfolg, entstand neben großen Mengen Schlacke als Abfallprodukt die sogenannte Luppe. Die Luppe ist ein schwammiger Eisenkuchen, zu dem das aus dem Erz gelöste Eisen zusammengeflossen und schließlich abgekühlt war. Doch damit war der Prozess der Eisenherstellung noch lange nicht beendet ...

Werkzeug und Rohmaterial eines Schmieds. Aus: - Grünewald, Christoph: Schwurschwert und Herdschaufel, versteckt und deponiert. In: Gaffrey, Jürgen / Cichy, Eva / Zeiler, Manuel: Westfalen in der Eisenzeit. Münster 2015, 182.

Denn um schließlich einen verwertbaren Rohstoff zu erhalten, musste die Luppe zunächst durch Ausschmieden von verbleibenden Unreinheiten befreit werden. Dies geschah zumeist auf separaten Schmiedeplätzen, wo sie in speziellen Schmiedeöfen zunächst erneut erhitzt wurde. Erst nach Abschluss dieses Prozesses entstanden Halbfabrikate wie die im Museum zu sehenden Eisenbarren. Sie bestehen aus hochwertigem, schmiedbarem Eisen, konnten über weite Strecken verhandelt und von Schmieden in Endprodukte jeder erdenklichen Art umgewandelt werden – beispielsweise in Schwerter, auch wenn der Nutzen der Siegerländer Barren sich längst nicht darauf beschränkte. Die Schwertform stellte wohl vielmehr ein regionales „Markenzeichen“ der Eisenproduktion in diesem Raum dar; Barren konnten zur selben Zeit auch ganz anders aussehen, beim keltischen Oppidum von Manching (in der Nähe von Ingolstadt) gefundene Barren haben beispielsweise oft die Form von Doppelpyramiden.

 

Autor: Vincent Niestlé B.A.