Zwischen Etikette und Eskalation: Was eine 2500 Jahre alte Trinkschale über Exzesse verrät.

16.10.2025 Praktikant:in

Ob das Glas Federweißer zum gemeinschaftlichen Zwiebelkuchen-Essen oder die gesellige Verkostung beim Weinfest, Alkohol – und besonders Wein – genießt sich am besten in einer Runde von Familie, Freunden und Gleichgesinnten. Auch die Männer der altgriechischen Oberschicht konsumierten ihren Wein selten ohne Gesellschaft. Am liebsten luden sie einander zu sogenannten Symposien – Trinkgelagen mit spezifischen Regeln – ein. Welche Regeln sie dabei befolgten und warum diese Veranstaltungen stattfanden, kann die sogenannte Zecherschale beantworten, weswegen ich dieses Objekt näher betrachten möchte. Und so viel sei vorweggesagt: Wie die Trinkschale andeutet, schienen die Teilnehmer eines Symposions sowohl nach heutigem als auch nach damaligem Maße hin und wieder über die Stränge zu schlagen.

Ein Kunstwerk zum Zechen

Die sogenannte Zecherschale (Abb. 1) ist eine Leihgabe des Badischen Landesmuseums Karlsruhe (Inv. 70/395) und wird gerade in der Sonderausstellung „Mahlzeit“ ausgestellt. Bei der Zecherschale handelt es sich um eine flache Trinkschale aus glasiertem Ton. Die archäologische Bezeichnung dafür lautet auch „Kylix“. Die Maße des Objekts betragen 11,4 cm in der Höhe und 40,2 cm im Durchmesser. Die rotfigurige Bemalung auf Innen- und Außenseite schuf wahrscheinlich der berühmte Vasenmaler Duris um 480 v. Chr. in Athen. Auf der Kylix sind drei Szenen von Symposien, die zunehmend eskalieren, dargestellt. Möglicherweise handelt es sich auch um drei Momentaufnahmen desselben Abends.

Reich bemalte Trinkschalen wie diese kamen als Trinkgefäße bei Gastmählern und Symposien zum Einsatz. Anders als viele erwarten, hielten die Teilnehmer die Schalen beim Trinken jedoch nicht an ihren zwei Henkeln, sondern fassten sie am Gefäßfuß an. Die filigranen Henkel allein konnten das Gewicht einer gefüllten Schale kaum tragen und dienten somit vor allem der Verzierung und Handhabung bei Spielen.

Abb. 1 Die sogenannte Zecherschale ist eine Leihgabe des Badischen Landesmuseums. (Foto: Badisches Landesmuseum / Thomas Goldschmidt)

Ein griechischer Symposion-Abend fand im Andron statt. Dabei handelte es sich um einen prunkvollen Raum, in dem das aufwendig bemalte Symposionsgeschirr wie die vorliegende Kylix aufbewahrt wurde. Durch die Gestaltung des Raumes und die Qualität des Geschirrs konnte der Hausherr seinen Reichtum und guten Geschmack unter Beweis stellen.

Nach ihrer Ankunft zogen die eingeladenen Männer ihre Schuhe aus, wie die Stiefel auf der Innenseite der Kylix verraten (Abb. 2.), bekamen von Diener*innen die Füße gewaschen und teilten sich ein verhältnismäßig einfaches Abendessen. Mit Einbruch der Dunkelheit trugen die Diener*innen dann die alten Tische ab, reinigten den Boden von Speiseresten und trugen ein zweites Paar kleinerer Tische auf. In der Zwischenzeit wuschen sich die Gäste in parfümiertem Wasser die Hände und schmückten sich mit Kränzen. Besagte Tische und Kränze lassen sich auf der Außenseite der Kylix finden (Abb. 3).

Abb. 2 Beim Symposion sind die Teilnehmer barfuß. (Foto: Badisches Landesmuseum / Thomas Goldschmidt)
Abb. 3 Neben dem Trinken musizieren die Teilnehmer und beweisen ihre Geschicklichkeit bei Spielen. (Foto: Badisches Landesmuseum / Thomas Goldschmidt)

Nun versammelten sich die Anwesenden um einen Altar, tranken reihum reinen Wein, sangen gemeinsam einen Festgesang, beteten zu verschiedenen Göttern und eröffneten mit Trankspenden das eigentliche Symposion.

Es wird in Runden getrunken…

Die Teilnehmer legten sich gemäß einer vorher festgelegten Sitzordnung zu zweit oder allein auf sogenannte Klinen, Speisesofas, wie sie auf der Außenseite der Kylix zu sehen sind (Abb. 3.). Oft losten oder wählten die Anwesenden dann einen Teilnehmer aus, der den Lauf des Abends lenken sollte. Dieser sogenannte Symposiarch wählte die Größe der Trinkgefäße und bestimmte das Mischverhältnis von Wein und Wasser. Der Konsum von unverdünntem Wein außerhalb von Ritualen galt als verpönt und wurde mit Völkern, die die Griechen als kulturell unterlegen betrachteten, in Verbindung gebracht. Der Symposiarch ordnete auch die Trinkrunden an, bei der ein Diener mit einer Kanne voll gemischtem Wein herumging und die Trinkschalen der Anwesenden füllte (Abb. 3). Die Teilnehmer hatten nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, jede Runde mitzutrinken und ihre Schalen unverzüglich zu leeren, sodass die allgemeine Trunkenheit bei allen gleichmäßig zunahm.

Zwischen Poesie und Wein-Zielwurf

Wie die Außenseite der Kylix zeigt, maßen sich die Teilnehmer zwischen den Trinkrunden in intellektuellen Wettstreiten und kompetitiven Geschicklichkeitsspielen. So mussten alle Teilnehmer vorbereitete Reden und/oder Musikbeiträge mit Doppelflöte und Leier präsentieren und bewiesen so ihre kulturelle Bildung und Weisheit. Bei den Gesellschaftsspielen zählte das Spiel Kottabos, bei dem man Weinreste aus einer Kylix in eine Metallschale zu schleudern versuchte, zu den populärsten. Auf der Zecherschale ist das Spiel ebenfalls verewigt (Abb. 3).

Die Trunkenheit nimmt zu…

Ziel allen Trinkens war für die Teilnehmer der durch Dionysos geschenkte Rauschzustand, durch welchen sie sich Heilung und den gleichen Gemütszustand wie die Götter versprachen. Außerdem meinten sie, dass Trunkenheit den wahren Charakter einer Person offenbaren würde. Übermäßige, maßlose Trunkenheit oder gar Trunksucht, galt in der griechischen Antike dagegen als beschämende Eigenschaft, die die Gemeinschaft störte. So scheinen manche – offenbar besonders betrunkene – Teilnehmer bestimmte Maßnahmen genutzt zu haben, um wieder nüchtern zu werden, wie die Innenseite der Zecherschale andeutet (Abb. 4).

Abb. 4 Ein junger Mann assistiert einem älteren Teilnehmer beim Übergeben in eine Schüssel. (Foto: Badisches Landesmuseum / Thomas Goldschmidt)

Hier wird dem Gast durch einen Jungen assistiert, der ihm den Kopf hält, während er sich in eine Schüssel zu übergeben versucht.  An das Musizieren mit Leier oder Flöte, die sich in einem Futteral befindet, ist nicht mehr zu denken (Abb. 4). Die Person, die aus der Zecherschale trank, hatte beim Trinken genau diese Darstellung vor Augen. Vielleicht handelte es sich um eine augenzwinkernde Ermahnung, wohin übermäßiger Alkoholkonsum führen konnte.

 Bei der unbärtigen Person könnte es sich einerseits um einen jungen Diener handeln. Andererseits luden ältere Teilnehmer auch männliche Jugendliche, mit denen sie in päderastischen Beziehungen lebten, zu Symposien ein, damit die Jugendlichen dort mehr über den Verhaltenskodex erwachsener Bürger lernten und sich kulturell und religiös weiterbildeten.

Wer möchte weiter feiern?

Im letzten Teil des Abends traten oft vom Gastgeber angeworbene Gaukler, Pantomime, Flötenspielerinnen und Hetären, gemietete Begleiterinnen, auf. Nach der letzten Trankspende gingen die Teilnehmer dann entweder nach Hause oder zogen in einer betrunkenen Prozession, dem Komos, singend, torkelnd und raufend mit ihren Trinkschalen und Mischkrügen zum nächsten Symposion der Nacht (Abb. 5).

Abb. 5. In einem betrunkenen Zug torkeln die Teilnehmer nach Hause oder zum nächsten Symposion. (Foto: Badisches Landesmuseum / Thomas Goldschmidt)

So verlagerte sich die Feier einfach an einen neuen Ort, und die Gemeinschaft fand sich auf dem nächsten Symposion neu zusammen.

Die Macht des gemeinsamen Rausches

Doch welchen Zweck erfüllte dieses ritualisierte Treffen nun für die alten Griechen? Wie die dargestellte physische Nähe und gemeinschaftlichen Aktivitäten der Außenseite bereits andeuten, waren Symposien der soziale Treff der männlichen Oberschicht schlechthin. Die Bürger der Oberschicht luden sich abwechselnd ein und pflegten ihre Beziehungen zueinander in und außerhalb ihrer Stadtstaaten. Die immer ähnlichen und verhältnismäßig kleinen Teilnehmerrunden machten die Männer zu Freunden und Verbündeten, die sich nicht nur zum Trinken trafen, sondern auch in sozialen und politischen Angelegenheiten unterstützten. Symposien trugen somit stark zur Gruppen- und Parteienbildung in der griechenlandweiten Elite bei. Bürgerliche Frauen durften an den Symposien nicht teilnehmen. Einerseits galten sie als besonders maßlos und zur Trunksucht neigend, was sie bereits für eine Teilnahme disqualifizierte. Andererseits sollten die bürgerlichen Frauen nicht der Gefahr von Übergriffen durch die betrunkenen Männer ausgesetzt werden.

Vom Gelage in die Vitrine

Die Zecherschale ist somit weit mehr als ein einfaches Trinkgefäß. In ihren Darstellungen wird die widersprüchliche Natur des griechischen Symposions deutlich: Das Symposion war ein streng geregeltes Ritual, bei dem die Teilnehmer nicht nur zwischen zivilisiertem Genuss und maßloser Trunkenheit balancierten, sondern auch bei Wein, Gesang und kleinen Wettkämpfen freundschaftliche und politische Allianzen schmiedeten.

Von nahem bewundern lässt sich die Zecherschale im Bereich „Regeln und Normen“ der frisch eröffneten Sonderausstellung „Mahlzeit! Wie Essen uns verbindet“ bis zum 13.09.2026 (Abb. 6).

Abb. 6: Die sogenannte Zecherschale wird in der Sonderausstellung „Mahlzeit! Wie Essen uns verbindet“ ausgestellt. (Foto: Julia Koschate).

Von Julia Koschate (Praktikantin)


Literaturverzeichnis

A. Dalby, Essen und Trinken im alten Griechenland. Von Homer bis zur byzantinischen Zeit (Stuttgart 1998).

G. Hagenow, Aus dem Weingarten der Antike. Der Wein in Dichtung, Brauchtum und Alltag, Kulturgeschichte der Antiken Welt 12 (Mainz 1982).

F. Hobden, The Symposion in Ancient Greek Society and Thought (Cambridge 2013).

M. Maaß, Griechische Vasenbilder. Maler und Dichter. Mythos, Fest und Alltag, Bildhefte des Badischen Landesmuseums Karlsruhe NF 4 (Karlsruhe 2007).

O. Murray (Hrsg.), Sympotica. A Symposium on the Symposion (Oxford 1994).

O. Murray – M. Tecuşan (Hrsg.), In Vino Veritas (Rom 1995).

E. Stein-Hölkeskamp, Adelskultur und Polisgesellschaft. Studien zum Griechischen Adel in Archaischer und Klassischer Zeit (Wiesbaden 1989).

M. Weçowski, The Rise of the Greek Aristocratic Banquet (Oxford 2014).

J. Wilkins – R. Nadeau (Hrsg.), A Companion to Food in the Ancient World (Chichester 2015).

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Badisches Landesmuseum / Thomas Goldschmidt.

Abb. 2: Badisches Landesmuseum / Thomas Goldschmidt.

Abb. 3: Badisches Landesmuseum / Thomas Goldschmidt.

Abb. 4: Badisches Landesmuseum / Thomas Goldschmidt.

Abb. 5: Badisches Landesmuseum / Thomas Goldschmidt.

Abb. 6: Julia Koschate.