Das schaurige Pferdeopfer aus der Zeche Erin - Eine makabre Entscheidung

09.04.2021

Abb. 1: Seitenansicht des Pferdeschädels des ausgestellten germanischen Opferrituals © LWL-Museum für Archäologie Herne/ L-S. Kopperschläger

Wie viele junge Mädchen im Kindergartenalter vor und nach mir war auch ich eine begeisterte Pferdeliebhaberin und hätte am liebsten mein eigenes kleines Pony in meinem Zimmer gehalten. Natürlich waren meine Eltern von meinem Vorschlag nicht sonderlich angetan und lenkten mich von meiner wunderbaren Idee mit vielen gemeinsamen Besuchen in sämtlichen Kultur-Einrichtungen ab. Im Rahmen dessen landeten wir auch im LWL-Museum für Archäologie Herne. Ich weiß noch, wie ich erstmals vor der Vitrine des germanischen Pferdeopfers stand und es mit verstörten Augen anblickte: Für mich war es nicht begreiflich, wie man ein Lebewesen für seinen Glauben opfern konnte, erst recht nicht ein so besonderes Geschöpf wie ein Pferd. Nach diesem Besuch kehrten wir noch einige Male zurück und jedes Mal hinterließ diese eine Vitrine ein beklemmendes Gefühl in meinem Bauch. Als mir direkt zu Beginn meines Praktikums gesagt wurde, dass ich einen Blog-Eintrag über mein Lieblings-Exponat schreiben solle, kehrte die Erinnerung an das germanische Tieropfer zurück und schnell war klar: Das ist das richtige Exponat für meinen Artikel! (Abb. 1)

 

Zeche Erin als Zentrum des Geschehens zur Zeit der Germanen

Die Rheinlinie galt bis zum Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. als Grenze zwischen den linksrheinischen Römern, die seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. bis dorthin vorgedrungen waren, und den rechtsrheinischen germanischen Völkern, die zwar in stetigen Konflikten, aber auch in einem wirtschaftlichen Austausch mit den Römern standen. Der Fundort in Castrop-Rauxel befindet sich zwischen der Lippe und der Ruhr und ist knapp 40 km von dem rheinischen Ufer entfernt. Die Bodenbedingungen zeichnen sich überwiegend durch einen lehm- und kalkartigen Mergel aus, der optimal für eine gute Konservierung vieler Fundstücke ist. Das Gelände war von einem natürlichen Bewuchs überzogen und in einigen Bereichen auch bewaldet. Offene Gewässer durchzogen einige Abschnitte.   

  • Abb. 2: Grabungsplatz zwischen 1991-1994. Aus: Schröder 2020, Fototafel 31.

  • Abb. 3: Fundsituation des Unterkiefers und des rechten Hinterbeines an der Fundstelle Zeche Erin. Aus: Dickmann 1997, S. 62 obere Abbildung.

Grabungsarbeiten und die Deutung des Fundplatzes

Als das Gelände der Zeche Erin in Castrop-Rauxel 1955 nach Süden erweitert werden sollte, wurden erste Ausgrabungen unter der Leitung der Archäologen Karl Brandt und Rolf Gensen unternommen. Sie stießen neben Tierknochen auch auf germanische sowie römische Keramik, die in den beiden Folgejahren größere Grabungsarbeiten auf den Plan riefen und diverse Funde, überwiegend aus dem 3. und 4. Jahrhundert n. Chr., zutage brachten. Anfang der 1990er–Jahre wurde dann das alte Zechengebäude abgerissen und man plante das Areal zu einem Landschafts- und Gewerbepark um, weswegen weitere Ausgrabungen unter der Leitung von Elisabeth Dickmann anfielen. Mit nur wenigen Erwartungen begannen daraufhin die Grabungsarbeiten 1991 und erzielten bis 1994 große Erfolge. (Abb. 2) Bei dem Gelände handelte es sich, bestimmt durch die Funde beider Kampagnen, um einen germanischen Handels-, Werk- und Marktplatz, der über mehrere Jahrhunderte hinweg benutzt wurde und von überregionaler Bedeutung war. Das Auffinden von Pfostengruben verweist auf bauliche Spuren, deren Bauten jedoch zum großen Teil nicht sicher datiert werden können. Durch den Fund von vollständigen Tierbestattungen und von Deponierungen verschiedener Tierteile und Wertgegenstände im moorigen Boden, der eine Wiedererlangung der Objekte unmöglich machte, stellte man während der 1990er-Jahre die Annahme auf, dass eine Nutzung des Geländes auch als Kult- und Opferstelle sehr wahrscheinlich wäre. So stieß man am 15.06.1994 im morastigen Boden einer südlich gelegenen Senke auf den Schädel, den Unterkiefer und das rechte Hinterbein eines Pferdes, die nun hier im Museum ausgestellt sind. (Abb. 3)

  • Abb. 4: Seitenprofil der Backenzähne © LWL-Museum für Archäologie Herne/ L-S. Kopperschläger

  • Abb. 5: Frontansicht der Schneidezähne © LWL-Museum für Archäologie Herne / L-S. Kopperschläger

Das Pferd aus Castrop-Rauxel

Bei den Knochen des Tieres handelt es sich um diejenigen eines einzelnen weiblichen Pferdes. Der Abnutzung seiner Schneide- und Backenzähne zufolge gehören die Gebeine zu einem Individuum, das zwischen 15 und 20 Jahre alt geworden ist. Die Knochen sind durch die Konservierung im kalkhaltigen lehmigen Boden in einem guten Zustand und können in das 3. und 4. Jahrhundert n. Chr. datiert werden. (Abb. 4+5)

Abb. 6: Skizzierung eines Pferdeopfers auf morastigen Boden. Aus: Klindt-Jensen 1957, S. 22, nach Müller-Wille 1999, S. 33 Abb. 28 (5).

Düstere Opferrituale im moorigen Gebiet 

Ähnlichkeiten in der Deponierung von Knochen lassen sich nach den Ergebnissen der Grabung bei Funden von Opferstätten in Norddeutschland und Dänemark mit vergleichbaren Bodenverhältnissen wiederfinden. Die nach dem Befund des Wohnplatzes Sorte Muld in Svaneke und der Mooropferstätte von Lejre (beides in Dänemark) vorgeschlagene Darstellung geht davon aus, dass Kopf und Extremitäten der Pferde gemeinsam mit dem vom Körper abgezogenen Fell auf einen Ast gesteckt wurden, der in dem morastigen Boden als Opfer für die Götter aufgestellt wurde (Abb. 6). Kopf und Beine blieben im Fell, während man dieses von dem restlichen Körper trennte. Nach einiger Zeit stürzten die Gebeine durch den Zerfall hinunter und versanken im morastigen Boden.

Abb. 7: Befestigung des Pferdeschädels auf einem Ast © LWL-Museum für Archäologie Herne / L-S. Kopperschläger

Angeregt wurde diese Darstellung durch den arabischen Schriftsteller Ibn Fadlan aus dem 10. Jahrhundert. Eine mögliche Funktion wird von dem Prähistoriker Michael Müller-Wille in einer Tabelle des Sonderhefts Archäologie in Deutschland (1999) als traditionelles Fruchtbarkeitsopfer gedeutet. Ob dies nun der wirklichen Funktion entspricht, bleibt dabei allerdings sehr spekulativ.

 

Die Inszenierung der Pferdegebeine in der Dauerausstellung

Die Pferdegebeine sind gemeinsam mit den ausgestellten Funden der Ausgrabungen von Zeche Erin in mehreren Vitrinen ausgestellt. In Anlehnung an die Darstellung des nordischen Pferdeopfers von Sorte Muld sind auch die Knochen in der Dauerausstellung, getrennt von den restlichen Funden der Grabungsstätte, in einer senkrechten Vitrine so arrangiert, dass der Schädel auf einem freihängenden Ast aufgesteckt ist und das rechte Hinterbein davor herunterbaumelt. (Abb. 7+8)

Ernüchternde Erkenntnis

Nach neuen Erkenntnissen in der Dissertation von Jona Schröder geht dieser von der Annahme aus, dass der Fund der Pferdegebeine zu einer ursprünglich vollständigen Pferdedeponierung gehörte. Das Skelett des Tieres sei allerdings durch witterungsbedingte Erosionsschäden beschädigt, sodass nur die genannten Körperteile des Pferdes geborgen werden konnten. Anders als zuvor angenommen, handle es sich demnach nicht um eine vergleichbare Opfersituation wie in Sorte Muld, könnte aber dennoch in einen rituellen Kontext gehören.

Lea-Sofie Kopperschläger / Studentische Praktikantin

Abb. 8: Inszenierung des Pferdeopfers in der Dauerausstellung © LWL-Museum für Archäologie Herne / L-S. Kopperschläger

Literatur

E. Dickmann (Hrsg.), Erin. Archäologie in Castrop-Rauxel. Ausstellungskatalog Castrop-Rauxel (Castrop-Rauxel 1997).

M. Müller-Wille, Opferkulte der Germanen und Slawen, Sonderheft zu Archäologie in Deutschland, 1999.

J. Schröder, Der spätkaiserzeitliche Fundplatz Zeche Erin in Castrop-Rauxel, Inauguraldissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie (unpubliziert), Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum (2020).