Ein Fassbrunnen – Unscheinbar aber aussagekräftig

27.05.2020

Abb. 1. Der Fassbrunnen aus Oberaden im LWL-Museum für Archäologie Herne (Foto: B. D. Hardick)

Ein Zeugnis aus der Zeit der römischen Besatzung

Kontakte zwischen Römern und Germanen gab es in Westfalen in verschiedensten Formen. Ein Fund aus dem Kontext einer militärischen Auseinandersetzung hatte es mir während meines Praktikums im LWL-Museum für Archäologie Herne besonders angetan. Es handelt sich dabei um einen Fassbrunnen, der 1982 im römischen Lager Oberaden, im heutigen Bergkamen, ausgegraben wurde. Dieser Brunnen stammt aus dem Zeitraum 11–7 v. Chr. und fällt in die Zeit einer römischen Militäroffensive in unserer Region. Zwar scheint der Fassbrunnen auf den ersten Blick etwas unscheinbar zu sein, kann uns aber bei genauer Untersuchung viele spannende Erkenntnisse liefern. Dies können Informationen über die Herkunft des Fasses, zur Versorgung der Lagerbesatzung sowie zur Geschichte des römischen Lagers sein. Um also aufzuzeigen, welche Erkenntnisse manch unscheinbarer Fund liefern kann, stelle ich nun genau dieses Objekt im Museumsblog vor.
 

Aus Oberaden…

Das römische Lager Oberaden wurde während der Drusus-Offensive im heutigen Bergkamen errichtet. Dazu wählten die Römer eine strategisch günstige Lage aus, eine Anhöhe südlich der Lippe. Die Drusus-Offensive stellte dabei eine im Jahre 11 v. Chr. geführte Aktion gegen mehrere germanische Stämme dar. Die römischen Truppen wurden von Drusus, dem Stiefsohn des Kaisers Augustus, angeführt. Während der Offensive wurden unter anderem die Sugambrer besiegt und von den Römern umgesiedelt. Nachdem Drusus verstarb übernahm Tiberius das Kommando, woraufhin die Unternehmung beendet wurde. Dies führte zur Aufgabe mehrerer rechtsrheinischer Lager, wie dem in Oberaden.

Abb. 2. Vereinfachter Plan des römischen Lagers Oberaden. Stand 2004: 1 Praetorium. 2 Principia mit seitlichen Anbauten. 3a - c Wohngebäude hoher Offiziere. 4 Seitliche Bebauung der Principia. 5 Gebäude unbekannter Funktion. 6 Centurionenhäuser. 6a Kasernen. 7 Gebäude seitlich des Südtores. Tore: A Porta principalis dextra. B Porta principalis sinistra. C Porta praetoria. D Porta decumana. 11-8/7 v. Chr. (Kühlborn 2005, S. 123)

Das Lager hatte eine ungewöhnliche Größe von 56 ha (entspricht 77 Fußballfeldern), womit es zu den größten römischen Lagern in der Region zählte. Über die Besatzung Oberadens liegen uns keine direkten historischen oder archäologischen Hinweise vor. Als ein Anhaltspunkt könnte aber die Lagergröße dienen, aufgrund derer anzunehmen ist, dass das Lager zwei Legionen mit den dazugehörigen Hilfstruppen und somit insgesamt 12.000 bis 15.000 Mann umfasste. Entsprechend wird das Lager Oberaden mit Sicherheit auf eine Versorgung mit Lebensmitteln von außerhalb der Region angewiesen gewesen sein, sowie auf eine gesicherte Wasserversorgung vor Ort. Dazu wurden mehrere Brunnen wie Kastenbrunnen, Brunnen ohne Verschalung oder sogar Fassbrunnen errichtet. Bei den zuletzt genannten handelte es sich um umfunktionierte Transportfässer. Deren Verwendung lässt sich durch die schnelle Errichtung des Lagers erklären. So bot sich die Nutzung dieser Fässer aus pragmatischen Gründen an, um in kurzer Zeit die Wasserversorgung sicherzustellen.
 

... ein Fassbrunnen …


Die verwendeten Fassbrunnen im römischen Lager Oberaden waren ein eher ungewöhnlicher Typ. Von diesem wurden während der Ausgrabung mehr als 40 Stück entdeckt. Das besondere an ihnen war, wie schon oben erwähnt, dass sie aus umfunktionierten hölzernen Transportfässern bestanden. Dazu wurden mehrere Fässer ineinander gesetzt und ohne Fassboden und Deckel in den Boden eingelassen. Die Holzfässer dienten als Verschalung für den Brunnen und verhinderten somit, dass Erde nachrutschen konnte.                                 

Sie besaßen aber nicht alle eine einheitliche Größe. Unterschiede traten zum Beispiel in der Höhe und im Umfang auf. Die meisten waren etwa 1,5 bis 1,65 m hoch, wobei auch Fässer von 1 m und sogar solche mit einer Höhe von 2,1 m gefunden wurden. Ihr Umfang unterschied sich durch die Anzahl der verwendeten Fassdauben, aus denen die Fässer bestanden. Zwischen 22 und 39 Dauben wurden gezählt. Dies und die Tatsache, dass für die Fassbrunnen im römischen Lager unterschiedlich viele Fässer Verwendung fanden, führte zu verschiedenen Fassungsvermögen der Brunnen (von 350 l bis zu 1350 l). Die Nutzung von mehreren Fässern für einen Brunnen ist damit zu erklären, dass eine gewisse Tiefe erreicht werden musste, um an das Grundwasser zu gelangen.

Interessanterweise lässt sich der ursprüngliche Einsatzzweck der Fässer noch immer rekonstruieren. Holzfässer wurden von den Römern für den Transport von Getreide, Essig, Salz, Wein und Früchten benutzt. Genaue Aufschlüsse über den Einsatzzweck liefert pechartiger, schwarzer Belag auf der Fassinnenseite, welcher vielerorts in mehreren Fässern nachweisbar ist. Dieser diente zur Abdichtung der Fässer, was auf einen Flüssigkeitstransport hindeutet. Auch das im Museum ausgestellte Fass weist einen pechartigen Belag auf, wodurch anzunehmen ist, dass dieses Fass ursprünglich ebenso zum Transport von Wein oder anderen Flüssigkeiten gedient haben könnte. Unterstützt wird diese Interpretation durch einen Fund von Weinstein (kristalline Ablagerung von Wein) in einem der Brunnenfässer. Ebenso spricht die Größe der Spundlöcher für den Transport von Flüssigkeiten.

Das ausgestellte Fass gehörte zu einem Brunnen mit einer Tiefe von über 3 m und einem Fassungsvermögen von 621 l. In diesem sammelte sich das Grundwasser, das wohl zum täglichen Wassergebrauch der Lagerbesatzung benötigt wurde. Allerdings ist nur das unterste der beiden Fässer vollständig erhalten geblieben. Dieses, in der Dauerausstellung präsentierte Fass wies eine Höhe von 1,65 m auf.

Informationen über die Herkunft des Fasses können anhand von Schlagstempeln gewonnen werden. Diese befinden sich auf der Fassinnenseite. Im Falle des ausgestellten Fasses wurden insgesamt sieben Dauben gestempelt. Dabei lassen sich die beiden Namen T. Virei und Soliverus lesen. Es handelt sich höchstwahrscheinlich um die Produzenten des Fasses, da diese Stempel vor der Zusammensetzung der Dauben gesetzt wurden. Die Namen deuten dabei auf die Herstellungsregion Oberitalien hin.

Abb. 3. Schlagstempel auf zwei Fassdauben des Brunnens aus Oberaden (Foto: B. D. Hardick)

Die eigentliche Besonderheit des Brunnens ist bisher noch gar nicht erwähnt worden. Es handelt sich dabei um die außergewöhnlichen Funde daraus, wie zum Beispiel Lebensmittelreste, das Skelett eines Hausschweins, Keramik, zwei Wetzsteine, Lederreste, Nägel und auch Kot. Diese Objekte gelangten während der Aufgabe des Lagers in den Brunnen.

Auch über die Versorgung von Lebensmitteln liefern die Fassbrunnen Informationen. Die Weinfässer sind sehr wahrscheinlich als Transportbehälter in das Lager gelangt. Zwar wurden zum Transport von Wein zum Beispiel auch Amphoren genutzt, jedoch zeugt die hohe Anzahl an gefundenen Fassbrunnen davon, dass auch viele Holzfässer – vermutlich gefüllt – nach Oberaden transportiert wurden. So erreichten das Lager also nicht nur normale Lebensmittel, sondern auch Luxusgüter.

Ein weiterer Beleg für die Versorgung von Lebensmitteln kann anhand der Lebensmittelreste und des Kots aus dem Brunnen erbracht werden. Da kurz nach Drusus‘ Tod der Feldzug beendet wurde, kam es, wie anfangs schon erwähnt, um das Jahr 8/7 v. Chr. zur Aufgabe des Lagers in Oberaden. Damit letzteres aber nicht in feindliche Hände fällt, wurde es nach dem Abzug planmäßig abgebrannt. In dem Zuge wurden die Brunnen durch darin entsorgte Tierkadaver, Abfälle und Kot vergiftet. Dies sollte die Brunnen für eine weitere Benutzung unbrauchbar machen. Im Kot konnten jedoch, neben einigen einheimischen, auch importierte Pflanzen festgestellt werden. Dazu zählen Olivensteine, Feigensamen, Koriander, Weintraubenkerne und Pfeffer aus Indien. Diese Funde können als klare Belege für Lebensmittelimporte in das römische Lager gesehen werden.

Abb. 4. Lebensmittelreste aus dem römischen Fassbrunnen aus Oberaden (Foto: B. D. Hardick)



…in der Dauerausstellung des LWL-Museum für Archäologie Herne

In der Dauerausstellung wird die Freilegung des Brunnens dargestellt. Dabei wird nur eine Hälfte des Brunnens, und damit des Fasses samt Inhalt, präsentiert. Ein Blick in den Brunnen wir damit ermöglicht. Dadurch wird einerseits die Situation während der Ausgrabung und andererseits die Abfolge der Bodenschichten präsentiert.

Abb. 5. Zeichenbrett mit Zeichnung des Brunnens und Beschreibung der Bodenschichten (Foto: A. Burmann)

Ebenfalls gezeigt werden in der Vitrine einzelne Funde aus dem Brunnen. Darunter fallen die beiden Fassdauben mit den beiden gestempelten Namen der Fassproduzenten, T. Virei und Soliverus. Darüber hinaus werden ein Eimer, die Lebensmittelreste der römischen Lagerbesatzung sowie, einzelne Grabungsutensilien präsentiert. Dazu zählt unter anderen ein Zollstock, aber auch eine Zeichnung des Brunnens. Durch diesen Aufbau kann der/die Besucher*in, der/die sich genauer mit der Vitrine auseinandersetzt, so einiges über das Lager erfahren und wird eventuell überrascht sein, wie viele Informationen solch ein Brunnen liefern kann.


Björn Dominik Hardick, studentischer Praktikant

 

Literaturverzeichnis:

Bremer, Eckhard: Die Nutzung des Wasserweges zur Versorgung der römischen Militärlager an der Lippe. Münster 2001.

Kühlborn, Johann-Sebastian: Das Römerlager in Oberaden III. Die Ausgrabungen im nordwestlichen Lagerbereich und weitere Baustellenuntersuchungen der Jahre 1962-1988, Münster 1992.

Kühlborn, Johann-Sebastian (Hrsg.): Germaniam pacavi. Germanien habe ich befriedet. Münster 1995.

Kühlborn, Johann-Sebastian. Die Grabungen in den westfälischen Römerlagern. In: Horn, H.G. et al. (Hrsg.): Von Anfang an. Archäologie in Nordrhein-Westfalen, Mainz am Rhein 2005, S. 119-127.

Kühlborn, Johann-Sebastian: Römerlager in Westfalen, Oberaden, Stadt Bergkamen, Kreis Unna, und Beckinghausen, Stadt Lünen, Kreis Unna. Münster 2008.

Gechter, Michael: Neue Forschungen zu den augusteisch-tiberischen Militäranlagen am Niederrhein. In: Esch, Tobias und Aßkamp, Rudolf (Hrsg.): Imperium – Varus und seine Zeit. Beiträge zum internationalen Kolloquium des LWL-Römermuseums am 28. und 29. April 2008 in Münster, Münster 2010, S. 97–104.

Von Schnurbein, Siegmar: Untersuchungen zur Geschichte der römischen Militärlager an der Lippe, Frankfurt am Main 1981.