Your Story Matters - Ein partizipatives Digitalprojekt

12.12.2022 Gastbeitrag

Im Projekt Your Story Matters haben wir in einem co-kreativen Prozess eine Anwendung entwickel, die die Erfahrungen von Menschen mit Migrationsgeschichte in die Dauerausstellung bringt. Migration war schon immer und ist Teil der Menschheitsgeschichte. In diesem Beitrag berichten wir vom Projekt und vom Workshop, bei dem eine Gruppe aus Freiwilligen ihre Perspektive mit in die Entwicklung eingebracht hat.

Von Julian Lennartz M.A - Projektkoordinator

Abb. 1: Blick in den Workshopraum. (Foto: Emma Boileau, Copyright: LWL-Museum für Archäologie)

Your Story Matters - Ein partizipatives Digitalprojekt

Das Projekt

Am LWL-Museum für Archäologie in Herne werden zur Zeit einige digitale Anwendungen entwickelt. Sie sollen nicht nur neue Zielgruppen ansprechen, sondern auch neue Möglichkeiten der Vermittlung, aber auch der Teilhabe eröffnen. Eines der Projekte, im Rahmen dessen eine solche Anwendung entwickelt wird, trägt den Titel „Your Story Matters“.

Die Idee hinter dem Projekt ist, eine Anwendung zu entwickeln, mit der Menschen ihre Migrationserfahrung teilen können. Partizipation und Teilhabe sind für das moderne Museum besonders wichtig geworden. Die Anwendung soll jene Stimmen ins Museum bringen, die sonst unterrepräsentiert sind. Denn wenn über Migration gesprochen wird, wird meist über Migrant:innen gesprochen, nur selten mit ihnen und noch seltener kommen sie selbst zu Wort. Im Rahmen einer Installation zum Thema Migration, welche den historischen und archäologischen Teil abbilden soll, werden über Bildschirme in der Dauerausstellung Beiträge der Anwendung in diesen Kontext eingebracht und repräsentieren so die gegenwärtige Lebenswirklichkeit der Migrant:innen.

In der Anwendung selbst werden Menschen digitale Räume erzeugen können, die sie dann mit Objekten anfüllen, welche sie mit ihrem Smart Phone erfasst haben. Die Objekte können dann beschriftet werden, ebenso wie der Raum selbst mit einem Titel versehen und mit einem selbstgeschriebenen Textteil erweitert werden, der die Geschichte der Person abbildet. Die Gestaltung steht den Nutzer:innen dabei frei. Ist der Raum fertig, kann er an das Museum übermittelt werden. Das Team prüft die Beiträge dann redaktionell und sobald die Prüfung durchgeführt wurde, ist der Raum auf der Anwendungsseite öffentlich einsehbar und kann auch in der Dauerausstellung erscheinen.

Doch wie entwickelt man eine digitale Anwendung, deren Zielgruppe vor allem Menschen mit Migrationserfahrungen sind, wenn solche Menschen im Museum selbst gar nicht vertreten sind? Zunächst braucht man einen starken Partner, der sich mit der Programmierung von digitalen Anwendungen und der Co-Kreation auskennt. Glücklicherweise konnten wir dafür wieder NEEEU Spaces GmbH aus Berlin gewinnen, die bereits bei unserem anderen Digitalprojekt „Öffne die Blackbox Archäologie“ mit uns zusammengearbeitet haben und mit einem internationalen Team bestens für diese Aufgabe ausgestattet sind. Zusätzlich haben wir einen Bürger:innenbeirat zusammengestellt. Durch Kontakte zu lokalen Initiativen, Vereinen und Organisationen fanden sich interessierte und engagierte Menschen, die sich an der Entwicklung der Anwendung beteiligt. Über das Sammeln von Ideen, Austausch von Perspektiven und Erfahrungen, einen Workshop, sowie Prototypentestings ist die sehr diverse Gruppe mit einer Altersspanne von 16 bis 83 und verschiedensten Herkünften in das Projekt eingebunden. Den zentralen Punkt bildet dabei der Workshop. Dieser fand im August 2022 über zwei Tage statt.

Abb. 2: Beim Workshop. (Foto: Emma Boileau, Copyright: LWL-Museum für Archäologie)

Der Workshop

Ziel des Workshops sollte vor allem sein ein Konzept für die Anwendung zu entwickeln. Wie soll sie aussehen? Wie soll sie funktionieren? Welche Medien können eingepflegt werden? Wie soll die Vermittlung der Geschichten stattfinden und mit welchen Mitteln können diese überhaupt adäquat erfasst werden? Wie kann eine digitale Plattform geschaffen werden, die Menschen dazu einlädt ihre Geschichten zu teilen?

Unter der Leitung von NEEEU startete der Workshop mit einer Kennenlernrunde. Dabei wurde im Außenbereich des Museums ein zentraler Punkt festgelegt, der symbolisch für Herne stehen sollte. Nun positionierten sich die Teinehmenden nacheinander um diesen Punkt. Ihre Position wurde dabei durch ihre Herkunft bestimmt. Alle Personen waren dabei durch eine Schnur verbunden. So entstand nach und nach ein komplexes Geflecht, das sinnbildlich für die Verbindungen und Bezüge unter den Menschen stehen sollte. Gleichzeitig konnten die Teilnehmenden ihre Wünsche und Ängste bezüglich des Workshops äußern. So wurde aus einer Gruppe von Fremden schnell eine Gruppe von Menschen mit einem gemeinsamen Ziel.

Weiter ging es mit einer allgemeinen Übung zu Storytelling. Denn auch Geschichten, die Menschen über sich selber erzählen folgen einer bestimmten Struktur, die es zu verstehen gilt, will man diese eindringlich und erfolgreich vermitteln. Anhand persönlicher Lieblingsgeschichten wurden die 5-W-Fragen, die für jede Geschichte wichtig sind, vorgestellt. Wo, wer, wann, warum, was passiert in der Geschichte. Diese Geschichten konnten Bücher, Filme, Comics, Serien oder auch eigene Erfahrungen sein. Dabei stellte sich schnell heraus, dass vor allem interessant ist, wer eine Geschichte erzählt. Denn dies schafft eine emotionale Verbindung zu den Rezipient:innen. Diese Idee sollte den weiteren Workshopverlauf nachhaltig prägen.

Im nächsten Schritt wurde sich dann auf die Objektebene fokussiert. Denn In einem archäologischen Museum werden Geschichten vor allem entlang von Objekten erzählt. In der nun folgenden Übung sollten anhand von Objekten, die von NEEEU mitgebracht wurden archäologische Field Journals erstellt werden. Die Objekte wurden beschrieben, gezeichnet und in eine fiktive Geschichte eingeflochten. Dabei entstanden spannende, emotionale und lustige kleine Erzählungen. Durch diese Übung wurde klarer, wie Geschichten entlang von Objekten erzählt werden können und wie Objekte für sich sprechen. Damit endete der erste Tag des Workshops.

Am zweiten Workshoptag standen vor allem die persönlichen Geschichten der Beiratsmitglieder im Fokus. Sie standen beispielhaft für die Art, wie die Anwendung potenziell genutzt werden sollte. Der zweite Tag drehte sich damit zentral um die Fragen, wie die persönlichen Geschichten der Teilnehmenden adäquat vermittelt werden können, wie Objekte in die Anwendung eingebracht werden und mit welchen Medien dies am besten geschieht um eine Verbindung zu den Geschichten und letztendlich auch zu den Rezipienten aufzubauen. Dabei sollte die Anwendung weitere Nutzer:innen dazu motivieren, ebenfalls ihre Erfahrungen zu teilen. Entlang von mitgebrachten Gegenständen erzählten die Beiratsmitglieder ihre persönlichen Migrationserfahrungen. Dabei waren unter anderem Fotos, Musikinstrumente, Postkarten, Kochgeschirr, Bücher aus Deutschkursen und noch viel mehr. Bei diesen intensiven Geschichten wurde gelacht und mitgefiebert, aber es waren auch sehr eindringliche, traurige und erschreckende Erzählungen dabei, die sprachlos machten.

Nach der Mittagspause kam dann der eigentliche co-kreative Teil des Workshops. Da bereits klar war, dass es bei der Anwendung nebst der persönlichen Geschichten vor allem um Objekte gehen soll, galt es nun zu klären, mit welchen Medien die Anwendung später arbeiten soll. Sollen es nur Bilder sein, oder auch Audio, Video und Text? Dabei gilt es selbstverständlich die technischen Möglichkeiten, das Budget und die Machbarkeit gegeneinander abzuwiegen. Die Mitglieder des Workshops machten jedoch schnell klar, dass ein multimedialer Ansatz erstrebenswert ist.

Mittels des Verfahrens des Design-Sprints wurden anschließend unter anderem mit der Crazy-8-Methode Ideen gesammelt, die im nächsten Schritt verfeinert und ausgearbeitet wurden. Bei der Crazy-8-Methode werden in einer begrenzten Zeit von jedem Teilnehmenden acht Ideen grob in Skizzenform festgehalten. Dann werden die Ideen in Kleingruppen präsentiert, bewertet und zu zwei ausgearbeiteten Ideen verdichtet. Anschließend stellen sich alle Gruppen gegenseitig ihre beiden Ideen vor, über die dann abgestimmt wird, bis am Ende zwei Vorschläge übrigbleiben. Diese werden dann in einer weiteren Gruppenarbeit konkretisiert. Mit diesen zwei Ideen erarbeitet das Team von NEEEU nach dem Workshop dann zwei Konzepte, die auf Machbarkeit geprüft wurden. So endete dann der Your Story Matters Workshop nach intensivem Arbeiten bei immerhin 35 Grad Außentemperatur.

Abb. 3: Die Ergebnisse des Workshops (Foto: Emma Boileau, Copyright: LWL-Museum für Archäologie)

So geht es weiter

NEEEU entwickelt anhand des finalen Konzepts zunächst einen Designvorschlag. Dabei wird über die reine Optik entschieden, also die Farbauswahl, den Aufbau von Menüs und Optionen und die Aufteilung von Text und Bild. Dann wird ein sogenannter Clickdummy erzeugt. Das ist eine offline Version der späteren Anwendungsseite, in der man die meisten Schaltflächen schon benutzen kann und so der generelle Flow klar wird, den man bei dem fertigen Produkt erwarten kann. Dieser Clickdummy wird vom Beirat und von uns als Museumsteam ausgiebig getestet. Sobald er freigegeben ist, wird er als tatsächliche Anwendung programmiert. Diese konnte im November 2022 fertiggestellt werden, musste dann aber noch eine intensive Test- und Bugfixingphase durchlaufen, was für so komplexe Softwareprojekte nicht unüblich ist. Die Beiratsmitglieder bleiben die ganze Zeit in die Entscheidungsprozesse mit eingebunden und gestalten die Anwendung so aktiv mit.