Zwischen Nostalgie und Erstaunen – Eine Führung durch die Sonderaus-stellung „Modern Times“

14.08.2024 Marie Jakob und Meliha Isik

Herne (lwl). „Da liegt ja der Kopf neben den Füßen“, ruft Dorothee Bunk (76) aus Recklinghausen überrascht. Kurz nach Beginn der Führung durch die aktuelle Sonderausstellung „Modern Times – Archäologische Funde und ihre Geschichten“ im LWL-Museum für Archäologie und Kultur in Herne beugen sich die Besucher: innen über eine Vitrine mit großen Steinen. Sie betrachten das Foto des Grabes der Anna Marlene Princk. Museumsvermittlerin Marina nickt: „Genau! Die Menschen hatten Angst davor, dass die hingerichtete Mörderin später aus ihrem Sarg steigen und sich rächen würde. Mit Steinen auf dem Sarg und dem Kopf neben den Füßen wollte man sie davon abhalten.“

Sieben Steine aus dem Grab der Anna Marlene Princk. Foto: LWL/ S. Brentführer

Die Teilnehmer: innen der Führung sind verblüfft. Marina schmunzelt: „Angesichts der Tatsache, dass zu dieser Zeit, also 1842, schon Dampfmaschinen und Eisenbahnen durch Deutschland fuhren und die Industrialisierung in vollem Gange war, ist es kaum zu glauben, dass die Menschen der Moderne noch Angst vor Untoten hatten!“ Jeden Sonntag gibt es öffentliche Führungen, bei denen Museumsvermittler: innen durch die Ausstellung führen und eine kleine Auswahl von Objekten vorstellen. So ist keine Führung wie die andere.

Viele Erinnerungen und spannende Entdeckungen

Die Führungen beginnen im „Prolog“ der Ausstellung. In einem kleinen Vorraum steht eine Baumscheibe, die mit ihren 200 Jahren und Ringen genau jenen Zeitraum umfasst, aus dem die Objekte der Ausstellung stammen: die Moderne, d. h. das 19. und 20. Jahrhundert. Dann erklärt Marina das Konzept der Ausstellung: „Die Ausstellung geht den Beziehungen zwischen dem Menschen der Moderne und seinen Dingen auf den Grund. Hierfür werden die Objekte verschiedenen Beziehungs-Kategorien zugeordnet: Innovation, Zerstörung, Gefühl, Zweck, Besonderes und Erinnerung! Aus jeder dieser Kategorien erzähle ich heute am Beispiel einiger Objekte die mit ihnen verbundene Geschichte zur Mensch-Ding-Beziehung.“

Der Eingangsbereich der Ausstellung. Foto: Daniel Sadrowksi

Während der Führung hören die Besuchenden ausschnittsweise Geschichten über die rund 100 Objekte, die in der Ausstellung zu sehen sind und welche historisch und archäologisch eingeordnet werden. Wenn ein Exponat besonders viel Interesse bei den Teilnehmer: innen weckt, sind diese eingeladen, ihre Fragen zu stellen oder eigene Anekdoten zu erzählen. Das freut Dorothee Bunk, denn zum Kirchenfenster der zerstörten Kirche von St. Lambertus zu Immerath (Kreis Heinsberg), welche zu Gunsten des Braunkohlebergbaus abgerissen wurde, hat sie viele Emotionen. Myriam Pregizer (28) aus Stuttgart ist sogar wegen des persönlichen Bezuges extra angereist: „Da auf dem Plakat der Ausstellung das Marienkäfer-Portemonnaie abgebildet ist, wollte ich das unbedingt sehen. Das erinnert mich an meine Kindheit. Irgendwie hat das so eine persönliche Verbindung geschaffen.“

Ein Teil eines Kirchenfenster aus der ehemaligen Kirche in Immerath. Foto: LWL/ S. Brentführer
Das Marienkäfer-Portemonnaie mit Inhalt. Foto: LWL/ S. Brentführer.

Auch wenn einem vieles bekannt vorkommt, berichten einige Objekte von eher unbekannten Begebenheiten, die einen immer wieder mit neuen Erkenntnissen überraschen. Die Gruppe bleibt vor einem Objekt stehen, das optisch an eine Mischung aus einer kleinen Weltraumkapsel und einen Sarkophag erinnert. Marina erklärt, dass der eiserne Fiske-Sarg eine Erfindung war, um Verstorbene aus Überseh zurück in die Heimat zu bringen. Das Material verzögerte den Verfall und so konnten die Hinterbliebenen durch das Fenster am Kopf noch einmal Abschied nehmen. Gleichzeitig hatte der schwere Sarg auch den Vorteil, dass er Leichenräuber davon abhielt, die Verstorbenen aus ihren Gräbern zu entwenden. „Im 18. Und 19. Jahrhundert waren die medizinischen Fakultäten sehr an Leichen für die Forschung interessiert. Und so wurde die eine oder andere Person nach der Beerdigung wieder ausgegraben, sehr zum Verdruss der Hinterbliebenen, und von Leichenräubern an die Forscher verkauft.“  Karl-Jakob Enste (27) aus Essen ist beeindruckt: „Das war ein Objekt, was ich so noch nicht kannte, und es war spannend die Geschichte zu hören und ihn live zu sehen. Ich war überrascht, dass er so klein ist!“ Einen krassen Kontrast bildet dann das Videospiel „E.T.“ aus dem Spielegrab in Alamogordo, New Mexico. Nachdem das Spiel in den 80ern nach extrem kurzer Entwicklungszeit im Verkauf auf Grund der verheerenden Kritiken gefloppt war, entsorgte Hersteller Atari die übrigen Spielkassetten in der Wüste. Um dieses Grab entstand ein regelrechter Mythos und 2013 gruben Archäologen die Kassetten wieder aus. Paul-Moritz Enste (22) schaut sich die Kassette, die es von New Mexiko bis in die Ausstellung in Herne geschafft hat, genau an. Das Spiel kann sogar angespielt werden. Heute gilt es als das schlechteste Spiel aller Zeiten.

Der gusseiserne Sarg der Marke Fisk. Foto: LWL/ S. Brentführer
Das Atari-Spiel, das in der Wüste vergraben wurde, weil es so schlecht war. Foto: LWL/ S. Brentführer.

Eine Ausstellung für alle

Ob es nun bekannte oder unbekannte Objekte sind, die die Besucher: innen in der Führung entdecken, zu jedem gibt es eine interessante Geschichte. Paul-Moritz Enste (22) aus Bochum möchte nach der Führung unbedingt einen Wunsch loswerden: „Besonders schön war, dass nichts von dem, was die Vermittlerin erzählt hat, vorgelesen wurde oder einstudiert wirkte. Bitte behaltet die Art und den Stil der Führung so bei, das hat mir unfassbar gut gefallen!“ Sein Bruder Karl-Jakob Enste ergänzt: „Die Führung hat für mich besonders ausgemacht, dass es ein niedrigschwelliges Angebot war.“

 

Unter @lwlmueum_archaeo finden sich Videos mit dem Ausstellungs-Kurator Dr. Stefan Leenen über ausgewählte Objekte, wie z. B.  eine Champagner-Flasche aus einem Schiffwrack, Karnevals-Orden und E.T..

 

 

Ein Blick in die Ausstellung. Foto: Daniel Sadrowski

Marie Jakob und Meliha Isik