Blutiger Kubus

21.06.2022 Praktikant:in

Foto aus dem Inneren des Sachsen-Kubus. Copyright Anna Onuma, LWL

Blutiger Kubus

Die Sachsenkriege und ihre Umsetzung in der Dauerausstellung des LWL-Archäologiemuseums

Der Kubus ist, sowie alle anderen auch, in einer Quadratform gehalten, unterscheidet sich jedoch soweit von den anderen Kuben, dass er neben einem Vorder- auch einen Hintereingang besitzt, da er direkt auf dem Laufpfad liegt, was bedeutet, dass man hindurchgehen muss, es sei denn, man möchte durch riskante Akrobatik einen Knochenbruch riskieren.

Sobald man in den Kubus hineingeht, fällt einem sofort der verringerte Lichteinfall und die damit einherkommende Dunkelheit auf, die vor allem wegen ihres plötzlichen Auftretens umso bedrohlicher wirkt. Das zweite, was ins Auge fällt, sind die vielen Speere, die zu beiden Seiten des Besuchers aus dem Boden hervorragen, und die durch den kleinen Schreck, der bei ihrem Anblick zuallererst ausgelöst wird, dem Ganzen eine sich leicht bedrohlich anfühlende Atmosphäre geben, die auch durch die Nähe, die die Speere zum Eingang haben, verstärkt wird. Es gibt dem Besucher ein Gefühl, als würden sie einen einkesseln, und mit ihrer Größe und ihren spitzen Enden bedrohen wollen.

Das nächste, was man bei der Betrachtung der Wände erkennen kann, ist das Blut, mit dem sie beschmiert worden sind. Man wird dort blutverschmierte Handabdrücke sehen, die an den ganzen Wänden, überall, verteilt worden sind, und dessen Farbe durch die von den an den Ecken angebrachten Lampen noch intensiviert wird. Auch das löst einen beachtlichen Zusatz an Schrecken aus und man spürt tatsächlich einen leichten Schauer, der durch die Kombination all dieser Faktoren ausgelöst wird.

Die, die während des Rundgangs durch die Dauerausstellung einigermaßen gut aufgepasst haben, wissen, was genau hier passiert ist. Oder sie haben zumindest eine Vermutung. Wenn nicht, gibt es zu deren Glück immer noch den kleinen Text, der auf der Wand rechts neben dem Ausgang des Kubus steht. Was dieser Text so ungefähr sagen wird? Es geht um den Sachsenkrieg, ein dreißig jahrelanger Krieg zwischen den christlichen Franken und den damals noch heidnischen Sachsen. Angeführt wurde die eine Seite, die der Franken, von Karl dem Großen, dem damaligen König der Franken, und auf der anderen Seite stand Herzog Widukind, der von den Sachsen als Kriegsherr gewählt wurde. Schließlich nach dreißig Jahren des gegenseitigen Bekämpfens und Abschlachtens gewinnen die Franken, und die Sachsen werden gezwungen, sich taufen zu lassen.

Das ist auch so ziemlich das, was im Kubus dank den an den Wänden angebrachten Hörsprechern auf sehr realitätsnahe Weise vermittelt wird, durch die man zuerst bei einer sich unglaublich authentisch anhörenden Schlacht zuhören darf. Zuallererst hört man das Geräusch von klapperndem Metall, als würde jemand in einer Rüstung langsam auf einen zukommen. Dann hört man eine laute Männerstimme, die lautstark einen Befehl schreit. Als nächstes erschreckt man sich möglicherweise etwas, denn was danach kommt, sind die Zahlreichen Soldaten einer Armee, die zeitgleich auf den Befehl reagieren und so einen fast ohrenbetäubenden Lärm auslösen. Was folgt, sind die noch ohrenbetäubende Schreie der Soldaten, die aufeinander zustürmen, und der Lärm der Schlacht: verängstigte Pferde, die vor Angst und Schrecken schrill aufwiehern, während sie in das brutale Gemetzel zwischen unbeugsamen Sachsen und unbarmherzigen Franken hineingetrieben und bald darauf mit Pfeilen bombadiert werden. Wütende, ehrgeizige Soldaten, die sich, erfüllt von Kampfgeist und dem Willen, zu überleben, gegenseitig niedermetzeln. Bald darauf wird der Schlachtlärm von einem Priester und einer ehemaligen Heidin unterbrochen, die dabei ist, sich, aufgrund der Todesdrohungen der Franken, zwangstaufen zu lassen und gerade ein Taufgelübde spricht. Was man hierbei ebenfalls gut heraushören kann, ist das strenge Misstrauen, mit dem der Priester zu der Sächsin spricht. Entweder, weil sie eine Sächsin ist, oder weil er glaubt, sie würde sich nur taufen lassen, um ihr Leben zu retten, was bei vielen Sachsen der Fall war.

Wie es vorher schon erwähnt wurde, sind in der Nähe des Eingangs und auch in einigen Ecken des Kubus mehrere Sprechanlagen angebracht worden, die alles, was sich während der Aufnahme abspielt, in unmittelbarer Nähe und überall um den Besucher abspielt, was zu einer sehr immersiven Erfahrung beiträgt. Die Besucher:innen werden durch die vielen Geräusche und das düstere Ambiente in die im Hörspiel vorkommenden Ereignisse hineingezogen und bekommen dadurch einen intensiven Einblick in die Vergangenheit der Sachsen und ihren langzeitigen Krieg gegen die Franken und Karl den Großen, die fast ganz Westeuropa eroberten und schließlich sogar ein „neues Rom“ auferstehen ließen.

Exponat aus dem Sachsen-Kubus, Lanzenspitze Willebadessen 2. Hälfte 8. Jh., Copyright Cornelia Moors LWL

Was bei weiterer Betrachtung des Kubus ebenfalls auffällt, ist die grauschwarze Eisenklinge aus Willebadessen (2. Hälfte 8. Jh.) die auf der linken Seite zwischen ein paar anderen Lanzen ruht, ein stiller Zeuge von dem, was sich vor so vielen Jahrhunderten zwischen Sachsen und Franken abspielte. Sie hat eine merkwürdig gekräuselte Oberfläche, als hätte man mit mehreren kleinen Steinen immer wieder auf sie eingehauen. Von seitlicher Sicht sieht sie unglaublich dünn aus, fast so dünn wie ein Blatt Papier, und an der Stelle, wo sie mit der Lanze verbunden war, sieht man einen klaffenden Riss, als hätte jemand den Rest der Lanze mit Gewalt herausgerissen. Vielleicht bestand dieser aber auch aus Holz und ist im Laufe der Zeit ganz einfach verfault. Solche Lanzenspitzen aus Eisen waren es, die die Sachsen im Sachsenkrieg verwendeten. Früher konnten sie sie nur zu Fuß benutzen, doch dank der damals neu erfundenen Steigbügel ist es den Sachsen nun möglich, sie auch zu Pferd zu verwenden.

"Karlsbüste" Karls des Großen aus dem Domschatz des Aachener Doms. Vermutlich nach 1349. Wiki commons

Die Lanze stammt aus der Zeit der sogenannten Sachsenkriege. Angefangen wurden die Sachsenkriege von Karl dem Großen, der 742 als ältester Sohn Pippin (III.) des Jüngeren geboren wurde. Er stammte aus dem Haus der Pippiniden, deren Existenz sich ab 613 nachweisen lässt. Als sein Vater 768 starb, regierte er zunächst zeitgleich mit seinem Bruder Karlmann das Frankenreich. Nachdem dieser jedoch 771 sein Ende fand, regierte Karl als Alleinherrscher. 774 krönte er sich nach einem Siegreichen Krieg gegen die Langorbaden auch als deren König. Es gelang ihm, fast ganz Europa unter sich zu einigen und wurde 800 in Rom vom Papst als Kaiser benannt. Somit begann dann auch das „Kaisertum des Mittelalters“. Beide dieser Vorkommnisse haben noch heute eine ungemeine Tragweite, selbst so viele Jahrhunderte danach, wo noch immer die Diskussion herrscht, ob er eher in der französischen oder eher in der deutschen Geschichte beizutragen sei (Karl der Große oder Charlemagne). Die fast dreißig Jahre andauernden Sachsenkriege und die damit zusammenhängende Missionierung der Sachsen waren ein Mittel zur Erschaffung eines europäischen Großreichs. Das Motto der Kriege war: Lass dich taufen oder stirb. Viele Sachsen, vor allem die Adeligen, entschieden sich für die erstere Variante. Regelrechte Massentaufen fanden statt. Beigesetzt wurde Karl der Große am 28. Januar 814 an seinem Todestag in der Kapelle seiner Lieblingspfalz in Aachen, die er jahrzehntelang ausbauen ließ.

Anna Onuma, Schülerpraktikantin.

Literaturverzeichnis

Kurt Fassmann (Hrsg.), Römisches Imperium und frühes Mittelalter. Herrscher des frühen Mittelalters / Chlodwig, Harsa, Justinian, Karl der Große, Omar I., Theoderich, Exempla historica - Epochen der Weltgeschichte in Biographien (12) Zürich 1972.

Christoph Stiegemann et al (Hrsg.), Credo. Christianisierung Europas im Mittelalter (Haldensleben 2013).