Chirurgie in der Steinzeit?

17.05.2022 Praktikant:in

Abbildung 1 Darstellung einer Großsteingrabanlage im LWL Museum für Archäologie in Herne.(Foto: Arnoldius, Wikimedia commons)

Galeriegräber in Warburg

Die Gräber wurden 1986–1993 ausgegraben. Es sind Insgesamt vier Großsteingräber und ein hölzernes Konstrukt. Dieses wurde entweder als sogenanntes Holzkammergrab verwendet oder sogar als Kulthaus/Altar. Bis auf das Grab V sind alle sehr gut erhalten. Das Grab V wurde durch landwirtschaftliche Arbeiten zerstört. Bei den Ausgrabungen sind viele Jungsteinzeitliche Skelettreste entdeckt worden. Insgesamt konnten die Knochen über 200 Personen zugeordnet werden. Das Grab wurde vermutlich von 3500 bis 3000 v. Chr. genutzt.

Abbildung 2 Menschlicher Unterarm mit verheilter Fraktur (Foto: Cornelia Moors, LWL Museum für Archäologie Herne)

Knochen

Bei der Vielzahl an Skelettüberresten stechen die mit Verletzung und Bearbeitungsspuren heraus. Unter diesen lassen sich Knochenbrüche (Abb. 2) und Operationsspuren (Abb. 5) feststellen.
An diesem Arm beispielsweise lässt sich ein gut verheilter Bruch nachweisen. Daraus kann man die These aufstellen, dass die Menschen in der Jungsteinzeit wussten, wie man den Arm ruhig zu legen hat, damit er  sauber wieder verheilen kann. An einem  Unterkiefer kann man Spuren  einer Karies erkennen (Abb4). An den menschlichen Überresten sind Zahnabschliff und Verknöcherungen der Gelenke sowie Wirbelverletzungen und Folgen von schweren Infektionen zu finden. Die vermeidlichen Bohrspuren, die ich am Schädel gesehen habe, stellten sich tatsächlich als solche heraus. Aber warum sollte man an einem Kopf Bohrungen vornehmen wollen? Gab es dazu einen Anlass oder besteht sogar die Möglichkeit, dass in der Jungsteinzeit erste Chirurgie betrieben wurde?

Abbildung 5 Menschlicher Schädel mit Trepanationsspuren (Foto: Cornelia Moors, LWL Museum für Archäologie Herne)

Exkurs: Prähistorische Operationen (Trepanation)

Der Begriff „Trepanation“ kommt vom lateinischen „trepanatio“, abgeleitet vom „trepanum“ (der Bohrer).  Bei deiner Trepanation wird in eine durch Knochen verschlossene Decke gebohrt, um eine Öffnung zu schaffen. Durch diese Öffnung können zum Beispiel Tumore oder Geschwüre behandelt werden, die auf das Gehirn Druck ausüben.
Dieser Druck äußert sich in Form von Kopfschmerzen oder migräneartigen Anfällen, aber auch in Zuckungen und Ausfällen der Bewegung. In schwereren Fällen treten auch geistige Einschränkungen auf. Mit Hilfe eines  Bohrers oder im Falle der jungsteinzeitlichen Trepanationen mit Steinschabern. Dazu wurde die zu behandelnde Person mit prähistorischen Betäubungsmitteln versorgt und die Schädeldecke wurde mit einem scharf geschliffenem Stein aufgeschabt. In Abbildung 5 kann man genau die Trennung zwischen verheiltem und nicht geschabten Teil sehen. Die roten Pfeile zeigen dabei auf den Wundrand.
Die Schädeldecke im Bereich zwischen den roten Pfeilen ist dünner.

Was bedeutet das alles nun?

Krankheiten waren, so wie heute, ein Problem, das die Menschen zu bewältigen hatten. Karies ist beispielsweise ein Beweis für eine sehr kohlehydratreiche Ernährung wie Getreidebrei und ähnliche Nahrung, starker Zahnabrieb dagegen spricht für sehr feste Nahrung, wie beispielsweise Körner. Beides ist für eine jungsteinzeitliche Person üblich.
Die Knochenreste, die in Warburg gefunden wurden, geben  Grund zur Annahme, dass die Menschen damals bereits gewusst haben, wie man diverse Krankheiten und Verletzungen zu behandeln hatte. Erstaunlicher dabei ist, dass diese Eingriffe teilweise ohne Komplikationen verheilt sind. Eine Schädeldecke braucht je nach Alter des:der Trepanierten eine gewisse Zeit, manchmal auch sogar Jahre zum verwachsen. Also musste das Wissen über den menschlichen Körper ausreichend gewesen sein, um Heilungsprozesse zu verstehen. Auch war die soziale und versorgende Struktur ausreichend genug, um Menschen, die nicht mehr arbeiten konnten oder eingeschränkt arbeitsfähig waren zu unterstützen. Zusätzlich besteht die Implikation, dass dieses Wissen über die Krankheiten und die Trepanationsmethoden vermittelt wurde.
Also kann man im Groben über die Menschen behaupten, dass sie in der Lage waren, erfolgreiche Operationen am Kopf durchzuführen, andere Mitmenschen zu pflegen und durch Krankheitsverläufe zu versorgen. Allerdings waren sie nicht für alle Krankheiten gerüstet: Besonders Infektionen und „unsichtbare“ Krankheiten, also die, die sich nicht sofort durch Schmerz oder Ähnliches äußern, blieben unbehandelt. Zudem lassen sich nur operative Eingriffe am Schädel feststellen. Ob es weitere Operationsversuche gibt, kann man anhand der Knochen von Warburg nicht genau sagen.

Knochen können eine Vielzahl von Informationen vermitteln. Sei es Krankheitsverläufe festzustellen, wie gut oder schlecht man sich ernährt hat, oder ob man unglücklich gefallen ist und sich dabei verletzt hat. In der Archäologie und besonders in der Anthropologie sind das wertvolle Informationen. Ein gut verheilter Knochenbruch kann uns viel über die menschlichen Verhältnisse preisgeben. Eine Operationsnarbe zeigt uns, wie viel Wissen über die Anatomie der Menschen vorhanden war. Kaputte Zähne zeigen uns, was und wie viel es zu Essen gegeben haben muss. Ich hoffe, dass ich mit diesem kleinen Eintrag zeigen konnte, dass Knochen nicht nur angeben, dass jemand an dieser Stelle begraben worden ist.

Philip Rösen, studentischer Praktikant

Literatur und Links

Kurt W. Alt, „Prähistorische Schädeltrepanation – Kurativer Eingriff oder Rituelle Handlung?“ in „Schädelkult Kopf und Schädel in der Kulturgeschichte des Menschen“ Hrsg. Alfried Wieczorek und Wilfried Rosendahl

Ingo Pfeffer, Die neolithischen Befunde und Funde vom Gaulskopf bei Warburg-Ossendorf, Kreis Höxter – Auswertung der Kampagnen von 1990 bis 1992

Katharina Fuchs, Christoph Rinne, Clara Drummer, Alexander Immel, Ben Krause-Kyora and Almut Nebel „Infectious diseases and Neolithic transformations: Evaluating biological and archaeological proxies in the German loess zone between 5500 and 2500 BCE“ in Special Issue: Scales of Transformation – Human-Environmental Interaction in Prehistoric and Archaic Societies 2019

Claudia Gerling, Thomas Doppler, Kerstin Schierhold „Mobilität und Datierung – sieben neolithische Warburger neu untersucht“ in Archäologie in Westfalen-Lippe 2018

Dirk Raetzel-Fabian, Der nordwestliche Nachbar: Neue Aspekte zur Wartbergkultur in Kolloquien des Institutes für Ur- und Frühgeschichte Erlangen 1 Hrsg. Torsten Harri Gohlisch u. Ludwig Reisch 2001
 

https://www.jna.uni-kiel.de/index.php/jna/article/view/75/76

https://www.uni-muenster.de/UrFruehGeschichte/forschen/galeriegraeber.html

https://www.altertumskommission.lwl.org/de/forschung/megalithik/das-galeriegrab-von-rimbeck/

Bildverzeichnis

Abbildung 1 © Arnoldius, (Wikimedia commons)
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:LWL_Herne_megalithic_tomb.jpg


Abbildungen 2–5 © Cornelia Moors, LWL Museum Herne