Tabea Malter: Steht der Aufbau von Stonehenge in Verbindung mit weiteren Himmelsphänomenen oder mit Sternenbildern?
Susanne Hüttemeister: Da gibt es viele Spekulationen, von denen keine wirklich überzeugend ist. Immer wieder wird die Frage gestellt, welche Bedeutung möglicherweise der Mond gespielt hat. Schon aus den 1960-er Jahren stammt die Idee, dass sich durch bestimmte Peillinien in Stonehenge auch die sogenannten „Mondwenden“ beobachten ließen. Das sind die extremen nördlichen und südlichen Positionen, die der Mond erreichen kann und die weiter im Nordosten bzw. Südwesten liegen als die der Sonne, weil – modern gesprochen – die Mondbahn gegen die Erdbahn geneigt ist.
Stonehenge enthält aber so viele Steine, heute noch vorhandene wie verschwundene, deren Orte man archäologisch feststellen kann, dass sich durch Verbindungslinien der Auf- oder Untergangspunkt fast jedes Himmelsobjektes, etwa auch heller Sterne, einer möglichen Peillinie zuordnen lässt. Aber waren diese Peilungen, die den einen oder anderen Archäoastronomen heute noch begeistern, den Menschen damals wirklich wichtig? Dass der Mond eine gewisse Rolle gespielt haben kann, ist sicherlich denkbar, wenn auch alles andere als sicher. Dafür, dass es auch um Sterne ging, gibt es dagegen praktisch keine Evidenz. Gut möglich ist auch, dass die Anlage über die Jahrhunderte nicht immer gleich genutzt wurde. Kultur und Religion können sich über diesen langen Zeitraum durchaus geändert haben, und nicht jede Nutzung muss astronomisch inspiriert gewesen sein.
Tabea Malter: Ist der Steinkreis ein Kalender? Können mit dem Steinkreis zum Beispiel Vorhersagen getroffen werden, wie z. B. zu Sonnen- oder Mondfinsternissen?
Susanne Hüttemeister: Eine sehr aktuelle Arbeit von diesem Jahr (Timothy Darvill, 2022) präsentiert einen neuen Vorstoß in der Richtung, Stonehenge als Kalender zu beschreiben, zusätzlich zu der eindeutigen Ausrichtung auf die Sonnenwenden. Danach repräsentierte der aus dreißig Steinen bestehende Sarsenkreis zusammen mit den fünf Trilithen des inneren Hufeisens einen „ewigen“ Kalender, der auf dem Sonnenjahr basierte und eine Schaltregel enthielt, die durch vier weitere Steine, die „Station Stones“, gezählt wurde.
Diese Interpretation passt zum Aufbau der Grundelemente von Stonehenge. Ob sie tatsächlich so gemeint war, ist damit natürlich noch nicht belegt.
Ideen, wie die, dass die „Aubrey Holes“, die aus der frühestens Phase von Stonehenge, deutlich vor den großen Steinsetzungen stammen, zur Vorhersage von Sonnenfinsternissen genutzt wurden, indem man insgesamt vier Steine periodisch in unterschiedlichen Zeitabständen von Loch zu Loch verschob, entbehren dagegen jeder Grundlage, auch wenn gerade diese Idee von dem berühmten britischen Astronomen Fred Hoyle stammt.
Tabea Malter: Die Himmelsscheibe von Nebra ist eine der frühesten Darstellungen eines konkreten Himmelsphänomens. Sie ist zurzeit im British Museum in London zu sehen. Was hat der Steinkreis mit der Himmelsscheibe von Nebra zu tun?
Susanne Hüttemeister: Die bronzezeitliche Himmelsscheibe von Nebra, die wohl vor ca. 3.600 Jahren vergraben wurde, ist deutlich jünger als Stonehenge und fällt maximal mit der Zeit zusammen, in der die Anlage aufgegeben wurde. Die Scheibe weckt unmittelbar die Assoziation, dass hier eine astronomische Situation dargestellt wird. Aber auch hier ist die Interpretation schwierig, da die Schöpfer der Scheibe nichts Schriftliches hinterlassen haben und die Scheibe überdies kulturgeschichtlich (bisher?) ein Unikat ist.
Die am häufigsten vertretene Vermutung sieht auch in der Himmelsscheibe eine Art Kalender. Auf der Himmelsscheibe könnte der Vollmond, eine zunehmende Mondsichel und der Sternhaufen der Plejaden vor einem Sternenhintergrund dargestellt sein. Die beiden Stellungen des Mondes relativ zu den Plejaden begrenzen das bäuerliche Jahr, markieren also die Zeitpunkte von Aussaat und Ernte.
Die später hinzugefügten Horizontbögen am Rand der Scheiben zeigen den Sonnenlauf am Horizont zwischen Sommer- und Wintersonnenwende an. So greift die Interpretation der Himmelscheibe Elemente der Horizont-Astronomie und eines frühen Kalenders auf, die wir auch in Stonehenge finden.
Wer mehr über dieses Thema erfahren will, ist herzlich zum Vortrag von Prof. Dr. Hüttemeister am Do. 21.4. um 19 Uhr eingeladen. Der Eintritt ist kostenfrei und findet im LWL-Museum für Archäologie statt. Parallel wird die Veranstaltung live auf youtube gestreamt. Übrigens ist das Bochumer Planetarium Vertriebspartner der Sonderausstellung. Bei Vorlage eines während der Laufzeit der Sonderausstellung erworbenen Tickets des Planetariums erhalten Sie 20% Rabatt auf den regulären Eintrittspreis der Sonderausstellung. Dieser Rabatt gilt auch umgekehrt bei den beiden Partnern.