Stonehenge, die Sonne, der Mond und die Sterne: Fünf Fragen an Prof. Dr. Susanne Hüttemeister

14.04.2022 Tabea Malter

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Wir haben mit Prof. Dr. Susanne Hüttemeister, Leiterin des Zeiss Planetariums Bochum, über die Bedeutung der Sonne, des Mondes und der Sterne für Stonehenge gesprochen.

Tabea Malter: Wir können es im Moment gut beobachten: Die Tage werden wieder länger und es ist abends schon richtig lange hell. Wir nähern uns der Sommersonnenwende, dem längsten Tag des Jahres am 21. Juni. An diesem Tag kommen Menschen aus aller Welt in Scharen nach Stonehenge, um die Sommersonnenwende zu feiern. Während der Steinkreis meistens für Besucher:innen nicht zugänglich ist, können die Menschen zur Sommer- und zur Wintersonnenwende in den Steinkreis hinein. Was passiert an diesen Tagen mit der Sonne in dem Steinkreis?

Susanne Hüttemeister: Es gibt sehr viele Spekulationen darüber, welche astronomische Bedeutung die Anlage von Stonehenge hatte. Dabei ist die Ausrichtung auf die Sonnenwenden die eine Tatsache, die weitestgehend unumstritten ist. Die Hauptachse des Steinkreises und vor allem des inneren Hufeisens aus den fünf großen Sarsen-Trilithen verläuft von Nordosten nach Südwesten. Entlang der nordöstlichen Achse findet sich außerhalb des Steinkreises und der Wallanlage noch heute der „Heelstone“ oder Fersenstein. Recht genau über diesem Heelstone ging (und geht noch heute) am Mittsommertag die Sonne auf. Die Achse markiert also den nördlichsten Aufgangspunkt der Sonne in ihrem jährlichen Lauf. Dieses Ereignis lockt auch heute noch zahlreiche Besucher an.

Es ist allerdings wahrscheinlich, dass die umgekehrte Situation, die zum Zeitpunkt der Wintersonnenwende um den 21. Dezember eintritt, von größerer ritueller Bedeutung für die Nutzer von Stonehenge war. Dann geht die Sonne vom Heelstone aus gesehen über dem Altarstein mitten im Sarsen-Hufeisen unter. So wird der südlichste Untergangspunkt der Sonne im Jahresgang gekennzeichnet. Es mag sein, dass die Erbauer von Stonehenge die Befürchtung hatten, dass die Sonne möglicherweise nicht „umkehrt“ und die Tage wieder länger werden.  Ein Ritual im Steinkreis könnte dazu gedient haben, dieses Schicksal abzuwenden.

Tabea Malter: Um den Tag der Sommer- oder der Wintersonnenwende zu bestimmen, mussten die Menschen die Natur über eine lange Zeit sehr genau beobachten. Wie haben sie wohl den längsten und den kürzesten Tag des Jahres gemessen? Sie hatten ja keine Uhren.

Susanne Hüttemeister: Das ist wahr! Und es ist nicht leicht, den Tag der Sonnenwenden genau festzulegen. Nicht umsonst heißen sie Sonnenwenden oder noch deutlicher – „Solstitien“. Das Wort deutet auf einen „Stillstand“ der Sonne hin. Dieser Stillstand bezieht sich dabei natürlich nicht darauf, dass die Sonne sich nicht mehr von Ost nach West, von Aufgang zu Untergang, über den Himmel bewegt. Die Sonne erreicht vielmehr ihre größte nördliche bzw. südlichste Breite. Sie kehrt dann also ihre Bewegungsrichtung um – und das kann sie nur, wenn sich ihre Breite – Astronomen nennen das „Deklination“ - in den Tagen vor und nach den Sonnenwenden nur sehr langsam verändert. Diese Veränderung ist bei Beobachtungen mit dem bloßen Auge für einige Tage kaum wahrnehmbar. Das bemerken wir auch heute noch, denn die Tageslänge verändert sich um die Sonnenwenden herum nur sehr langsam.

Messen kann man so etwas im Prinzip zum Beispiel mit Schattenlängen zur Mittagszeit, wie bei einer Sonnenuhr. Zum Zeitpunkt der Sommersonnenwende ist der Schatten am Mittag am kürzesten, zur Wintersonnenwende am längsten. Um den Tag genau zu bestimmen, muss man aber in der Tat lange und sorgfältig beobachten und    die Beobachtungen zum Beispiel der Schattenlängen auch festhalten, und das in einer Kultur ohne Schrift.

Eine andere Möglichkeit ist Mittelung über eine längere Zeit, etwa sichtbare Veränderungen einige Wochen vor und nach einer Sonnenwende, zur Ermittlung des Zeitpunkts der Sonnenwende.  Auch markante Geländeformationen wie Kerben in einem Hügelkamm könnten von einem stehenden Stein aus angepeilt worden sein.

Alle diese Verfahren erfordern geduldige Messungen über Jahre und vor allem ein Interesse an einem exakten Ergebnis. Wer weiß, vielleicht haben die Menschen ja mehrere Tage gefeiert? Wir wissen, denke Ich nicht, wie wichtig ihnen die ganz genaue Bestimmung des „richtigen“ Zeitpunktes war.

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Tabea Malter: Steht der Aufbau von Stonehenge in Verbindung mit weiteren Himmelsphänomenen oder mit Sternenbildern?

Susanne Hüttemeister: Da gibt es viele Spekulationen, von denen keine wirklich überzeugend ist. Immer wieder wird die Frage gestellt, welche Bedeutung möglicherweise der Mond gespielt hat. Schon aus den 1960-er Jahren stammt die Idee, dass sich durch bestimmte Peillinien in Stonehenge auch die sogenannten „Mondwenden“ beobachten ließen. Das sind die extremen nördlichen und südlichen Positionen, die der Mond erreichen kann und die weiter im Nordosten bzw. Südwesten liegen als die der Sonne, weil – modern gesprochen – die Mondbahn gegen die Erdbahn geneigt ist.

Stonehenge enthält aber so viele Steine, heute noch vorhandene wie verschwundene, deren Orte man archäologisch feststellen kann, dass sich durch Verbindungslinien der      Auf- oder Untergangspunkt fast jedes Himmelsobjektes, etwa auch heller Sterne, einer möglichen Peillinie zuordnen lässt. Aber waren diese Peilungen, die den einen oder anderen Archäoastronomen heute noch begeistern, den Menschen damals wirklich wichtig? Dass der Mond eine gewisse Rolle gespielt haben kann, ist sicherlich denkbar, wenn auch alles andere als sicher. Dafür, dass es auch um Sterne ging, gibt es dagegen praktisch keine Evidenz. Gut möglich ist auch, dass die Anlage über die Jahrhunderte nicht immer gleich genutzt wurde. Kultur und Religion können sich über diesen langen Zeitraum durchaus geändert haben, und nicht jede Nutzung muss astronomisch inspiriert gewesen sein.

Tabea Malter: Ist der Steinkreis ein Kalender? Können mit dem Steinkreis zum Beispiel Vorhersagen getroffen werden, wie z. B. zu Sonnen- oder Mondfinsternissen?

Susanne Hüttemeister: Eine sehr aktuelle Arbeit von diesem Jahr (Timothy Darvill, 2022) präsentiert einen neuen Vorstoß in der Richtung, Stonehenge als Kalender zu beschreiben, zusätzlich zu der eindeutigen Ausrichtung auf die Sonnenwenden. Danach repräsentierte der aus dreißig Steinen bestehende Sarsenkreis zusammen mit den fünf Trilithen des inneren Hufeisens einen „ewigen“ Kalender, der auf dem Sonnenjahr basierte und eine Schaltregel enthielt, die durch vier weitere Steine, die „Station Stones“, gezählt wurde.

Diese Interpretation passt zum Aufbau der Grundelemente von Stonehenge. Ob sie tatsächlich so gemeint war, ist damit natürlich noch nicht belegt.

Ideen, wie die, dass die „Aubrey Holes“, die aus der frühestens Phase von Stonehenge, deutlich vor den großen Steinsetzungen stammen, zur Vorhersage von Sonnenfinsternissen genutzt wurden, indem man insgesamt vier Steine periodisch in unterschiedlichen Zeitabständen von Loch zu Loch verschob, entbehren dagegen jeder Grundlage, auch wenn gerade diese Idee von dem berühmten britischen Astronomen Fred Hoyle stammt.

Tabea Malter: Die Himmelsscheibe von Nebra ist eine der frühesten Darstellungen eines konkreten Himmelsphänomens. Sie ist zurzeit im British Museum in London zu sehen. Was hat der Steinkreis mit der Himmelsscheibe von Nebra zu tun?

Susanne Hüttemeister: Die bronzezeitliche Himmelsscheibe von Nebra, die wohl vor ca. 3.600 Jahren vergraben wurde, ist deutlich jünger als Stonehenge und fällt maximal mit der Zeit zusammen, in der die Anlage aufgegeben wurde. Die Scheibe weckt unmittelbar die Assoziation, dass hier eine astronomische Situation dargestellt wird. Aber auch hier ist die Interpretation schwierig, da die Schöpfer der Scheibe nichts Schriftliches hinterlassen haben und die Scheibe überdies kulturgeschichtlich (bisher?) ein Unikat ist.

Die am häufigsten vertretene Vermutung sieht auch in der Himmelsscheibe eine Art Kalender. Auf der Himmelsscheibe könnte der Vollmond, eine zunehmende Mondsichel und der Sternhaufen der Plejaden vor einem Sternenhintergrund dargestellt sein. Die beiden Stellungen des Mondes relativ zu den Plejaden begrenzen das bäuerliche Jahr, markieren also die Zeitpunkte von Aussaat und Ernte.

Die später hinzugefügten Horizontbögen am Rand der Scheiben zeigen den Sonnenlauf am Horizont zwischen Sommer- und Wintersonnenwende an. So greift die Interpretation der Himmelscheibe Elemente der Horizont-Astronomie und eines frühen Kalenders auf, die wir auch in Stonehenge finden.

Wer mehr  über dieses Thema erfahren will, ist herzlich zum Vortrag von Prof. Dr. Hüttemeister am Do. 21.4. um 19 Uhr eingeladen. Der Eintritt ist kostenfrei und findet im LWL-Museum für Archäologie statt. Parallel wird die Veranstaltung live auf youtube gestreamt. Übrigens ist das Bochumer Planetarium Vertriebspartner der Sonderausstellung. Bei Vorlage eines während der Laufzeit der Sonderausstellung erworbenen Tickets des Planetariums erhalten Sie 20% Rabatt auf den regulären Eintrittspreis der Sonderausstellung. Dieser Rabatt gilt auch umgekehrt bei den beiden Partnern.