Sportkleidung oder Kriegspanzer – Über den Mythos Ritter

29.03.2023 Praktikant:in

Idealbild eines hochmittelalterlichen Ritters: Hartmann von Aue (Codex Manesse, UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, fol. 184v )

Seid ehrlich! Woran müsst ihr zuerst denken, wenn ihr Mittelalter hört? Welches Klischee aus einer Vielzahl von Vorurteilen über diese Epoche euch auch immer gerade als erstes in den Sinn kam, bei einigen war es bestimmt dieses: Der Ritter. Dieser edle Krieger in strahlender Rüstung, der sich hoch zu Ross unerschrockenen Mutes in den Kampf stürzt. Was für ein großes Ideal! Das Erstaunlichste ist jedoch, dass dieses Bild bereits von Zeitgenoss:innen des europäischen Mittelalters gehegt und gepflegt wurde. Es geht schon auf die Gedichte und Romane sowie auf die bildlichen Darstellungen dieser Zeit zurück. Und heutzutage vermitteln Comics, digitale Spiele und Hollywood-Blockbuster ein solch verzerrtes Image vom abendländischen Ritter und seiner Lebenswelt, dass es mit einer historischen Wirklichkeit kaum noch etwas zu tun hat. Als Insignien für diese Faszination am Rittertum gelten vor allem der Harnisch, die Waffen und das Turnier, die sogenannten Ritterspiele. Unser großes Problem als Historiker:innen ist es, dass wir uns bei deren Erforschung vorwiegend auf Schrift- und Bildquellen stützen müssen. Nur ganz wenige Originale von Rüstungsteilen sind in Waffenkammern erhalten.

Haus Herbede (CC Frank Vincentz, bei Wikimedia Commons)

Seltener Fund

Doch wie lässt sich dieses Idealbild eines Ritters beim Turnier dann mit der damaligen Realität abgleichen? Durch archäologische Funde! Mögen diese auch noch so selten sein, bieten sie uns einzigartige Möglichkeiten in die Lebenspraxis eines „echten Ritters“ einzutauchen. Solch einen kostbaren und aufsehenerregenden Fundkomplex fanden Archäolog:innen 1986 im Brandschutt eines Kellers des ehemaligen Ritterguts Herbede in Witten (Ennepe-Ruhr-Kreis). Besonders beeindruckte eine aus Eisen sowie Buntmetall gefertigte Harnischbrust, die eine Höhe von 29,5 cm misst. Zeitlich stammt sie aus dem späten 14. bis frühen 15. Jahrhundert, also ungefähr zwischen den Jahren 1390 und 1410. Zusammen mit ihr wurden auch noch Fragmente eines großen Helmes mit gitterförmigem Visier und Helmzierde, die dem Wappen des jeweiligen Ritterguts entspricht, gefunden. Beides wurde zusammengetragen.

Tjost (Stechen) mit stumpfen Lanzen (Codex Manesse, UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, fol. 192v)

Sportplatz statt Schlachtfeld

Was macht den Harnisch eigentlich so besonders für die Betrachter:innen, dass er als außergewöhnlich gelten kann? Die auffälligen Löcher machen stutzig, weil sie doch vermeintlich den Schutz der Träger verringern. Es erscheint uns zunächst widersprüchlich, sich mit solchen Schwachstellen in der eigenen Rüstung auf das Schlachtfeld zu begeben. Das wäre es vielleicht auch gewesen, aber die Lösung dieser Frage liegt gar nicht an einem Kriegsschauplatz, sondern auf dem Turnierfeld, einer Art mittelalterlichen Sportplatz: Die Turnierbrust wurde mit Löchern versehen, um Gewicht zu sparen. So wurde den Trägern das Atmen erheblich erleichtert. Zudem minderten die Löcher im Harnisch das Schwitzen in der Hitze des Kampfes. Zum Einsatz kam die Harnischbrust bei der Disziplin des Kolbenturniers, wo in einem Gruppenkampf die Teilnehmer mit hölzernen Kolben und stumpfen Schwertern auf die gegnerischen Reiter einschlugen. Trotz aller professioneller Schutzausrüstung gab es dabei immer wieder Todesfälle. Als weitere Disziplin zählte das „Gestech“ zu den Ritterspielen. Bei diesem Zweikampf zu Pferd versuchten die Kontrahenten ihre Gegner mit einer stumpfen Lanze aus dem Sattel zu stoßen. Passende Gegenstände wie zwei stumpfe Turnierlanzenspitzen gehörten auch zu den Funden von Haus Herbede.

Inszenierung innerhalb der „Burg“ (Eigenes Foto, Jonas Wingarz)

Inszenierung

In der Dauerausstellung wird die Harnischbrust zusammen mit anderen Rüstungsbestandteilen wie Helm, Schwert, Bein- und Armschutz im Bereich Burgen in Westfalen präsentiert. Man kann sie bequem in Höhe der Blickachse betrachten, weil sie in einer überlebensgroßen, senkrecht aufgestellten Vitrine aufgehängt wurden. Die im Mittelpunkt stehende Ritterrüstung ist an allen vier Seiten von einer nachempfundenen Burgmauer umgeben. In der stilisierten Burgmauer lassen sich sogar Überreste von Geschossen in unterschiedlichen Größen finden, die sie zum Einsturz bringen sollten. Als ich am ersten Tag meines Praktikums direkt bei einer Begehung der Dauerausstellung unter gestalterischer Perspektive dabei sein konnte, ist mir dieser Teil am meisten in Erinnerung geblieben wegen der simplen aber in sich schlüssigen Inszenierung. Zudem ist das Mittelalter kein Schwerpunktthema meines Geschichtsstudiums gewesen, sodass es mich gereizt hat, in einem für mich abwegigen Bereich etwas Neues zu lernen und zu entdecken.

Jonas Wingarz, Studentischer Praktikant

Literatur

Dirk Breiding, Harnisch und Waffen des Hoch- und Spätmittelalters. In: LWL-Museum für Archäologie-Westfälisches Landesmuseum Herne (Hrsg.), Ritter, Burgen und Intrigen. Aufruhr 1225! Das Mittelalter an Rhein und Ruhr (Mainz 2010) 129–146.

Gabriele Isenberg/Hans-Werner Peine/Andreas Weisgerber, Haus Herbede – die archäologische Erforschung eines kleineren Herrensitzes an der Ruhr. Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde 70, 1992, 361–399.

Hans-Werner Peine, Herrschaft und Repräsentation. Burgen, Bergrecht, Adel. In: Wilfried Menghin/Dieter Planck (Hrsg.), Menschen, Zeiten, Räume – Archäologie in Deutschland. Ausstellungskatalog Berlin (Stuttgart 2002) 383–388.

Hans-Werner Peine, Ein Blick in die Waffenkammer des Hauses Herbede an der Ruhr. In: Konrad Spindler/Harald Stadler (Hrsg.), Das Brigantinen-Symposium auf Schloss Tirol. Bauforschung auf Schloss Tirol 3 (Bozen 2004) S. 40-77.

Hans-Werner Peine/Dirk H. Breiding, An Important Find of Late 14th and Early 15th Century Arms and Armour from Haus Herbede, Westphalia. The Journal of The Arms & Armour Society XIX, No.1, 2007, 1–28.