Trotz seines Todes im Jahr 1737 hat Everhard Nahrichten noch die Anfänge eines religiösen Umbruchs mitbekommen, der für die Geschichte des christlichen Glaubens auch in Westfalen eine wichtige Rolle spielt. Ab den 1730er Jahren war ein langsamer Rückgang der religiösen Teilnahme im Bereich des heutigen Nordrhein-Westfalen zu verzeichnen. Im Laufe der Zeit nahmen immer weniger Menschen am protestantischen Abendmahl teil, was in den Städten stärker als auf dem Land zu beobachten war. Grund dafür war unter anderem, dass die Menschen vermehrt selber entschieden, in welcher Beziehung sie zu ihrem Glauben an Gott standen. Somit bildeten sich einzelne kleinere Gruppen mit einer eigenen, persönlichen Beziehung zu Gott. Viele dieser Gruppen waren sich einig, dass die Kirche zu sehr verweltlichte und zu viel Einfluss auf die Politik habe. Mit der Zeit gewannen Privatkommunionen vermehrt an Beliebtheit und auch Beerdigungen wurden nur noch in kleinerem Kreis abgehalten. Mit der voranschreitenden Rationalisierung der Glaubenslehren gewannen Tätigkeiten, die einen Zweck im Diesseits erfüllten, vermehrt an Bedeutung. Als Beispiel lässt sich Seelsorge oder auch Sozialfürsorge nennen. Man kann somit einen Wechsel von einem jenseitigen zu einem mehr diesseitigen Glaubensbild erkennen.
Doch wie kam es überhaupt zu diesen Unruhen? Dazu gibt es mehrere Hypothesen. Bei der ersten Hypothese handelt es sich um die Differenzierungshypothese. Sie beschreibt, dass es mit der Spaltung durch die Reformation zunächst an den Herrschern der jeweiligen Gebiete lag, ein einheitliches religiöses Miteinander sicherzustellen. Dies resultierte darin, dass sich Kirche und Herrschaft in manchen Bereichen überlappten. Durch den Dreißigjährigen Krieg allerdings wurde klar, dass eine konfessionelle Einheit nicht möglich war. Als kurze Erklärung: Beim Dreißigjährigen Krieg handelte es sich um mehrere von 1618 bis 1648 andauernde Auseinandersetzungen, in denen es darum ging, die religiöse Vorherrschaft im Gebiet des Heiligen Römischen Reiches zu sichern. Somit kam es zur Trennung der Aufgaben von Politik und Kirche. Auch in anderen Bereichen, wie beispielsweise in der Bildung, verlor die Kirche an Kontrolle.
Die zweite Hypothese, Markthypothese genannt, spricht davon, dass die verschiedenen sozialen Institutionen mit der Zeit die Kontrolle über die Menschen verloren, da sich unter anderem im Bereich der Wissenschaft ein Handel unter den Bürgern freier von Staat und Kirche entwickelte, was mehr Individualität ermöglichte. Vermehrt kam auch die Anschauung auf, dass Herrscher und ihre Gebiete nicht von Gott, sondern von den Bürger:innen legitimiert werden sollten. Es entwickelten sich neue soziale Beziehungen und auch der Konsum gedruckter Literatur stieg an. Dies führte zu einer stärkeren Aufklärung sowie zu einer stärkeren Verbreitung von Informationen. Mit der Zeit sah sich die Kirche einer stetig größer werdenden Konkurrenz durch ein steigendes Angebot im Freizeit- und Kulturbereich gegenüber.
Die dritte Hypothese, die Pluralisierungshypothese, beschreibt die vermehrt aufkommenden Alternativen innerhalb des kirchlichen Bereiches. Zuvor war es selbstverständlich, dass es nur eine herrschende Religion in einem Staatswesen gibt. Da, ähnlich wie bei der Differenzierungshypothese, eine konfessionelle Einheit nun nicht mehr möglich war, festigte sich der Gedanke, Kirche und Politik voneinander zu trennen. Es wurden somit religiöse Differenzen geduldet, was jedoch nicht gewollt geschah. Der Konfessionszwang wurde somit abgeschwächt.
Die letzte Hypothese ist die Horizonterweiterungshypothese. Sie besagt, dass es im Laufe des 17. & 18. Jahrhunderts zu einer Horizonterweiterung der Menschen in Bezug auf die Zukunft kam. Es wurde ein Fokus auf die Gegenwart gelenkt und es bildete sich der Gedanke, dass nicht Gott, sondern die Menschen etwas an der Situation im Diesseits ändern müssen. Da religiöse Gedanken das Handeln vieler Menschen weniger stark beeinflussten, war es möglich, das Diesseits nicht nur als einen Ort zu sehen, der zwischen ihnen und dem Reich Gottes stand, sondern als einen Ort, der durch sie verbessert und gewandelt werden kann. Dies resultierte in einem technischen Fortschritt sowie dem Rückgang der Mortalität gegen Ende des Jahrhunderts.
Abschließend sei noch gesagt, dass sich keine dieser Hypothesen eindeutig be- oder widerlegen lässt.