Wer war nun die Person, die um 500 - 300 v. Chr. in der Region Petershagen-Döhren in diesem von weit entfernt in die Region importierten und lange verwendeten Gefäß bestattete wurde?
Die wissenschaftliche Untersuchung des Leichenbrandes ist aufgrund der Hitzeeinwirkung und der geringen Größe der Knochensplitter schwierig. Die dünnwandigen und reliefarmen Schädelknochen sind aufgrund der starken Zersplitterung nicht geeignet, das Geschlecht der Person festzulegen. Die Bestimmung des biologischen Geschlechts durch die Zahnanalyse ist in der Regel sehr sicher, im Fall der Person aus Grab 55 allerdings nicht zweifelsfrei. Aufgrund der Abmessungen der Zähne und Zahnwurzeln wurde das biologische Geschlecht der Person als weiblich bestimmt.
Wenn ich die Person im Folgenden als weiblich bzw. Frau bezeichne, dann geschieht dies im Wissen, dass sich die Identität eines Individuums archäologisch schwer fassen lässt.
Das Alter der Frau wurde entsprechend der bereits geschlossenen Wachstumsfugen und der noch nicht verstrichenen Knochennähte zwischen 20 - 40 Jahren angesetzt.
Sie war wohl eine Frau aus der Region. Für die Archäologie heißt das in diesem Fall sie stammt aus dem Einflussbereich der sogenannten Nienburger-Gruppe oder auch der Weser-Aller-Gruppe. Westfalen war in der Eisenzeit wohl sehr heterogen gegliedert und die Archäologie hat Schwierigkeiten, einzelne Gruppen herauszuarbeiten. Am besten funktioniert das dort, wo verschiedene Einflüsse sichtbar werden, denn die Gräberfelder der regionalen Bevölkerung wurden selten mit vielen Objekten ausgestattet, anhand derer man archäologische Gruppen fassen könnte.
Sie wurde in einer bereits damals uralten Situla bestattet, die auch schon deutliche Gebrauchs - und Alterungsspuren aufwies. Dennoch war das Gefäß aufbewahrt worden. Das sorgfältige Verbrennen der Leiche auf einem Totenbett/Totengestell mit einem Bärenfell als Unterlage oder als „Leichentuch“ kann darauf hindeuten, dass die Frau zusätzlich durch das Bestatten in einem besonderen Gefäß ausgezeichnet oder geehrt wurde. Die Urne war dann darüber hinaus in mindestens ein Stück Stoff eingewickelt. Textilien waren arbeitsintensiv in der Herstellung - insbesondere wenn die Färbung ebenfalls arbeitsaufwendiger war. Das Bärenfell, in das der Körper der Verstorbenen vielleicht eingehüllt worden war kann ebenfalls darauf hindeuten, dass die Person eine wichtige Rolle in der Gemeinschaft inne hatte - dass sich sonst keine Beigaben erhielten, wäre vor dem Hintergrund der regionaltypisch eher wenig reichhaltigen Gräber nicht ungewöhnlich. Vielleicht ist dies ein Hinweis auf eine “Elite” sozioökonomisch gut gestellter Hofbesitzer:innen.
Eine andere mögliche Erklärung könnte sich aus der Region selbst ergeben. Das mittlere Wesergebiet stand sowohl mit dem Hallstatt/LaTène - Raum als auch mit den Gruppen des Jastorf-Kreises im Norden in Verbindung und empfing auch aus den deutschen Mittelgebirgen Impulse. Das vermehrte Vorkommen importierter Gefäße im Bereich der mittleren Weser sowie die auch durch die früher zu datierenden “Frauen von Ilse” angedeuteten Beziehungen in andere Regionen ist auffällig.
Es ist gut möglich, dass es im Bereich der wichtigen Verbindungen entlang der Weser Personengruppen gab, die durch Handel, Austausch und Kontakte zu Wohlstand und Einfluss kamen. Aus dem Süden, dem Hallstatt - und LaTène - Raum kennt die Forschung einige auffällige Frauenbestattungen, die darauf hindeuten, dass Frauen aktiv an Austausch - und Kontaktsystemen beteiligt waren,. Sie waren auch in den Gemeinschaften geachtete Persönlichkeiten mit Macht und Einfluss.
Über die sozialen Strukturen innerhalb der brandbestattenden Gruppen im Norden Mitteleuropas wissen wir noch vergleichsweise wenig. Es ist aber durchaus denkbar, dass auch die “Frau von Döhren” eine besondere Rolle innerhalb ihrer Gemeinschaft innehatte und mit anderen Regionen in Kontakt stand.
Der uns erhaltenen Fund mit seinen Hinweisen auf die Besonderheit der bestatteten Person weckt Neugier und Hoffnung auf weitere Entdeckungen, die uns Erklärungen bieten und die Menschen dieser Zeit und Region besser verstehen lassen.
Ida Paul (studentische Praktikantin).
Literatur:
K. Günther, Ein Situla-Grab an der mittleren Weser bei Döhren, Stadt Petershagen, Kreis Minden-Lübbecke. In: K. Günther (Zus.), Beiträge zur vorrömischen Eisenzeit in Ostwestfalen. Bodenaltertümer Westfalens 18 (Münster 1981) 46-62.
K. Tidow, Gewebereste an einer Bronzesitula aus Döhren, Stadt Petershagen, Kreis Minden-Lübbecke. In: K. Günther (Zus.), Beiträge zur vorrömischen Eisenzeit in Ostwestfalen. Bodenaltertümer Westfalens 18 (Münster 1981) 72-75.
U. Drenhaus/Huyer/Theilmeier, Der Leichenbrand aus einer Bronzesitula vom vorgeschichtlichen Gräberfeld in Döhren, Stadt Petershagen, Kreis Minden-Lübbecke. In: K. Günther (Zus.), Beiträge zur vorrömischen Eisenzeit in Ostwestfalen. Bodenaltertümer Westfalens 18 (Münster 1981) 63-71.
Elisabeth Schmid, Die Bärenkrallen aus dem Leichenbrand der Bronze Situla vom vorgeschichtlichen Gräberfeld in Döhren, Stadt Petershagen, Kreis Minden-Lübbecke. K. Günther (Zus.), Beiträge zur vorrömischen Eisenzeit in Ostwestfalen. Bodenaltertümer Westfalens 18 (Münster 1981) 76-78
J. Brandt-B. Rauchfuß (Hrsg.), Das Jastorf-Konzept: Und Die Vorrömische Eisenzeit Im Nördlichen Mitteleuropa : Beiträge Der Internationalen Tagung Zum Einhundertjährigen Jubiläum Der Veröffentlichung "Die ältesten Urnenfriedhöfe Bei Uelzen Und Lüneburg" durch Gustav Schwantes 18.-22.05.2011 in Bad Bevensen. (Hamburg 2014)
D. Bérenger, Die Gliederung der Gemeinschaft - Zur Sozialstruktur der Eisenzeit. In: J. Gaffrey/E.Cichy/M.Zeiler(Hrsg.), Westfalen in der Eisenzeit. (Münster 2015). 55-58.
R. Gleser, Handel und Kontakt in der Eisenzeit. In:J. Gaffrey/E.Cichy/M.Zeiler(Hrsg.), Westfalen in der Eisenzeit. (Münster 2015). 147-151.